Samstag, 28. März 2009

Diskrepanz


In den 60er Jahren verdunkelte er sein Ansehen durch Kumpanei mit der CSU und reaktionären Kommentaren in der Springerpresse. Man war geneigt, ihn für peinlich zu halten. Sein Vater hatte ihn ja stets als Versager betrachtet. Sein Schulterschluss mit den damals Mächtigen gegen die aufmüpfigen Studenten passte dazu. Wenn man eines seiner Bücher in die Hand nahm, konnte man seine Haltung nicht einmal mehr mit Dummheit entschuldigen. Seine Deutsche Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert ist ein wunderbar kluges, blendend geschriebenes Werk. Und dann gar die umfangreiche Wallenstein-Biografie! Besser hat ein deutscher Historiker nie Forschung in Literatur verzaubert. Man fragte: Wie vereinbart sich diese Brillianz des Denkens und Formulierens mit einer Neigung zur Bierdimpfelei von Strauß und Co.? Was zog einen Mann seines Kalibers zum Lügen- und Radaujournalismus? Vielleicht kann es uns irgendwann ein Psychologe erklären. Der Schatten des Vaters, die Ängste eines Schulversagers, der Wunsch des Homosexuellen nach Anerkennung im Kreis der Rabauken - all das spielte vielleicht eine Rolle. Es ist jedenfalls Zeit, Golo Mann neu zu entdecken und seinen Frieden mit ihm zu machen. Er würde am 27. März 100 Jahre alt werden.