Dienstag, 30. Juni 2009

Mitleid mit dem Mitmenschen


“Bei jedem Menschen, mit dem man in Berührung kommt, unternehme man nicht eine objektive Abschätzung desselben nach Werth und Würde, ziehe also nicht die Schlechtigkeit seines Willens, noch die Beschränktheit seines Verstandes und die Verkehrtheit seiner Begriffe in Betrachtung; da ersteres leicht Haß, letztere Verachtung gegen ihn erwecken könnte, sondern man fasse allein seine Leiden, seine Noth, seine Angst, seine Schmerzen ins Auge: da wird man sich stets mit ihm verwandt fühlen, mit ihm sympathisiren und statt Haß oder Verachtung jenes Mitleid mit ihm empfinden, welche allein die Liebe (agape) ist, zu der das Evangelium aufruft. Um keinen Haß, keine Verachtung gegen ihn aufkommen zu lassen, ist wahrlich nicht die Aufsuchung seiner angeblichen ´Würde`, sondern umgekehrt der Standpunkt des Mitleids der allein geeignete.”
Arthur Schopenhauer (1788-1860)

Montag, 29. Juni 2009

Zebrafragen


Shel Silverstein fragte das Zebra: "Bist du ein weißes Tier mit schwarzen Streifen oder ein schwarzes Tier mit weißen Streifen?". Das Zebra sah Shel mit gerunzelter Stirn an und antwortete: "Bist du ein guter Mensch mit schlechten Eigenschaften oder ein schlechter Mensch mit guten Eigenschaften? Bist du ein kluger Mensch mit dummen Gedanken oder ein dummer Mensch mit klugen Gedanken? Bist du ein liebenswerter Mensch mit Unvollkommenheiten oder ein unvollkommener Mensch mit liebenswerten Zügen?" Silverstein wusste keine Antwort und nahm sich vor, nie wieder ein Zebra nach seinen Streifen zu fragen.

Sonntag, 28. Juni 2009

Warnung


"Was vielen gefällt, nicht allein verwerfen. Etwas Gutes muss dran sein, da es so vielen genügt, und lässt es sich auch nicht erklären, so wird es doch genossen. Die Absonderung ist stets verhasst und, wenn irrtümlich, lächerlich. Man wird eher dem Ansehen seiner Auffassungsgabe als dem des Gegenstandes schaden, und dann bleibt man mit seinem schlechten Geschmack allein. Kann man das Gute nicht herausfinden, so verhehle man seine Unfähigkeit und verdamme die Sache nicht schlechthin. Gewöhnlich entspringt der schlechte Geschmack aus Unwissenheit. Was alle sagen, ist, und will doch sein."
Baltasar Gracián (1601-1658)

Samstag, 27. Juni 2009

Verpasster Ruhm


Der italienische General Umberto Nobile (1885-1978) konstruierte Luftschiffe. Er war von der Idee besessen, den Nordpol mit einem dieser fliegenden Zigarren zu erreichen. Kein geringerer als der berühmte Polarforscher Roald Amundsen griff den Gedanken auf. Er bestellte bei Nobile ein polartaugliches Luftschiff, das er auf den Namen Norge taufte. Der Konstrukteur durfte das Fluggerät selbst steuern, aber der Ruhm für den erste Flug zum Pol im Mai 1926 gehörte Amundsen. Das ärgerte den Italiener. Zwei Jahre später wollte er die Pioniertat wiederholen, wobei er vergaß, dass die Wiederholung einer Pioniertat keine Pioniertat mehr ist. Es war auch nicht sehr originell, sein eigenes Luftschiff Italia zu nennen. Immerhin erreichte auch die Italia den Nordpol, geriet aber beim Rückflug in Turbulenzen und musste nordöstlich von Spitzbergen notlanden. Ihr SOS-Ruf erreichte am 28. Mai 1928 die zivilisierte Welt. An der großangelegten Suchaktion nach den Verunglückten beteiligte sich auch der 56-jährige Amundsen mit einem Wasserflugzeug. Dabei geriet auch er in einen Sturm und stürzte ab. Erst nach drei Wochen wurden das Flugzeugwrack und seine Leiche gefunden. Sein heldenhafter Tod machte ihn erst recht zur Legende. Nobile und seine Mannschaft rettete ein russischer Eisbrecher. Der italienische General kam statt als Triumphator als Verlierer heim. Man gab ihm indirekt auch die Schuld am Tod von Amundsen. Verbittert schied Nobile aus der italienischen Armee. Er wurde Kommunist und stellte seine Erfahrungen fortan in den Dienst der Sowjetunion. Zum Pol reiste er nicht mehr.

Freitag, 26. Juni 2009

Gottes Herbarium


Der schwedische Botaniker Carl von Linné (1707-1778) arbeitete tagsüber an der Erforschung von Flora und Fauna. Er führte aber auch ein Nachtbuch. Dem gab er den Titel Nemesis Divina (Göttliche Vergeltung), denn den großen Naturforscher interessierten vor allem Ereignisse und Beobachtungen, in denen er Gottes Wirken zu erkennen glaubte. So zum Beispiel Spukerscheinungen und göttliche Strafen für die Verletzung von Moral und Sitte. Aber auch Wunder wie dieses: „Der Kanzler von Dänemark wird aus Neid des Hochverrats bezichtigt und auf Grund falscher Zeugenaussagen zum Tod verurteilt. In der Nacht vor der Hinrichtung fällt sein Bild von der Wand, aber das Glas zerspringt nicht. Hieraus schöpft er die Überzeugung, dass er nicht geköpft wird. Tatsächlich wird er am nächsten Tag begnadigt.“ Was Linnés Episodenbuch auszeichnet ist der Eifer eines wissenschaftlichen Faktensammlers. Er versagt sich jeden Kommentar. Wie seltene Pflanzen und Tiere legte er seine literarischen Fundstücke und Notizen in einem imaginären Herbarium ab.

Donnerstag, 25. Juni 2009

Kein Happy End


Im München der 70er Jahre schien alles möglich. Ein Ex-Dicjockey, Dressman und Gelegenheitsschauspieler konnte das Gefühl haben, das Geld liege auf der Straße. Das Leben war leicht, die Welt stand offen. Michael Kromer schrieb seinen Nachnamen mit C, das sah weltmännischer aus. Als er in Rom ein Photoshooting hatte, trug der Portier die Louis-Vuitton-Tasche seines Freundes sofort ins Hotel und ließ seine alte schweinslederne stehen. Das ärgerte ihn. Er kaufte sich also auch eine dieser sündteuren Louis-Vuitton-Koffer. Leider lag das gute Stück nach der zweiten Flugreise ramponiert auf dem Förderband. Wieder zuhause, erklärte er seiner Frau Mara, Inhaberin eines schicken Friseursalons in der Kurfürstenstraße, dass er sich jetzt seinen Koffer maßfertigen lasse. Er setzte sich hin und entwarf nächtelang sein persönliches Gepäck. Darauf die Initialen von ihm und seiner Frau, MCM. Ein Hersteller war rasch gefunden. Das Gepäck war so schmuck, dass Freunde und Besucher von Maras Salon, dasselbe haben wollten. So wurde Michael Cromer zum Kofferdesigner. 1977 gründete er die Firma MCM, und zwanzig Jahre später war daraus ein Weltunternehmen mit 250 Filialen geworden. In New York umarmte ihn Michael Douglas, und in Tokio war es Cindy Crawford, die MCM auf dem Laufsteg vorführte. Der Jahresumsatz stieg auf 500 Millionen Mark, die lackierten Leinentaschen wurden zum Standardgepäck der Jetset-Klasse. Ein Märchen. Doch in unserer Welt haben solche Märchen kein Happy End. Eine anonyme Anzeige führte zu einer groß angelegten Razzia der Steuerfahndung. Das löste eine verhängnisvolle Kettenreaktion aus. Die Banken verlangten ihre Kredite zurück, die ein derart expansives Unternehmen immer braucht. Das führte schließlich zum Zusammenbruch des Kofferimperiums. Dass Jahre später das Steuerstrafverfahren lediglich Lapalien wie die Beschäftigung einer privaten Putzfrau auf Firmenkosten zutage brachte, nützte Michael Cromer nichts mehr. Die Namensrechte gehörten inzwischen einer Schweizer Holding, die sie bald weiterverschacherte. Cromer starb Anfang September 2007, dreißig Jahre nach der Gründung von MCM, an den Folgen einer Aorta-Operation. Man darf ruhig sagen: am gebrochenen Herzen. Kurz vor seinem Tod fasste er seine bitteren Erfahrungen in den Satz: "Ich hätte nie geglaubt, wie einfach es in Deutschland sein kann, ein solides Unternehmen binnen Kürze in den Ruin zu treiben.“

Mittwoch, 24. Juni 2009

Virtuosenpreis


Eine junge Frau hatte ein ausverkauftes Konzert des betagten Geigenvirtuosen Fritz Kreisler von einer Bühnengasse der Carnegie Hall aus verfolgt. Als der Violinist nach mehreren Zugaben die Bühne verließ, rief sie ihm bewundernd zu: "Ich würde mein Leben dafür geben, so spielen zu können wie Sie." Kreisler blieb stehen, sah sie ernst an und sagte: "Ich habe es gegeben, meine Dame."

Dienstag, 23. Juni 2009

Herz und Verstand



Steven Spielberg hat Tobias Kniebe von der Süddeutschen Zeitung ein Interview gegeben, in dem er auf dumme Fragen ("Heute kann eine Geschichtenerzählerin wie Joanne K. Rowling reicher werden als die Queen. Halten Sie das für angemessen?") kluge Antworten gibt. Etwa die: "Oh, ich denke, mit Geld hat das alles nichts zu tun. Es hat mit Berufung zu tun. J.K. Rowling wurde mit dem Auftrag geboren, der Welt Harry Potter zu geben. Diesen Ruf hat sie angenommen. Dabei geht es nicht um die Annehmlichkeiten, die einem der Erfolg bringen kann - es geht um viel reinere Fragen. Erstens: Hast du etwas zu sagen? Und zweitens: Hast du die Gabe, die Menschen dazu zu bringen, dir zuzuhören? J.K. Rowling hat beides." Spielberg lässt sich in diesem Gespräch von dem deutschen Interviewer nicht auf den Erfolgsregisseur reduzieren ("damit sind Sie Milliardär geworden"), sondern besteht darauf "Geschichtenerzähler" zu sein. "Geschichtenerzähler wurden immer gebraucht - seitdem die ersten Menschen anfingen, ihre Erlebnisse auf Höhlenwände zu malen. Die Technik hat uns heute mehr Pinsel und Farben gegeben als jemals zuvor - aber ganz egal, was kommt: Uns wird es immer geben." Er verwendet die raffiniertesten neuen Techniken, weiß aber auch: "Ohne eine gute Geschichte ist alles andere nichts." Und auf die Frage, warum er sowohl reine Unterhaltungsfilme als auch Filme mit moralischen Botschaften mache, antwortet Spielberg: "Das ist kein intellektuell reflektiertes Prinzip. Ob ich nun einen reinen Crowdpleaser für die Massen mache oder einen komplexeren Historienfilm - die Entscheidung dafür oder dagegen fällt immer intuitiv. Irgendetwas greift nach meinem Herzen und dann auch nach meinem Verstand."

Montag, 22. Juni 2009

Menschenwürde


Laut Grundgesetz ist die Würde des Menschen unantastbar. Bislang allerdings mit der Einschränkung, dass der Mensch weder lebensmüde noch sterbenskrank sein darf. Seine Selbstbestimmung endete bei der Entscheidung über sein Ende. Das wurde letzte Woche korrigiert. In Deutschland können Patienten künftig verbindlich entscheiden, ob und wie lange sie durch Ärzte am Leben gehalten werden. Man sollte meinen, das sei eine Selbstverständlichkeit. Gleichwohl lehnen viele Mediziner und beide großen Kirchen das neue Gesetz ab. Sie sind der Meinung, dass das Patientenverfügungsgesetz die Autonomie der Patienten einseitig zulasten der ärztlichen Fürsorgepflicht stärke. Diese sei wichtiger als das Recht auf Selbstbestimmung. Hinter der Auseinandersetzung stehen unterschiedliche Vorstellungen von der Würde des Menschen. Die neue Regelung wird den Streit nicht beenden. Aber sie sorgt immerhin für so etwas wie Waffengleichheit zwischen dem hilflosen Patienten und den Ärzten und Pfarrern und folgt damit dem Postulat des Grundgesetzes.

Sonntag, 21. Juni 2009

Neid


Das NDR-Medienmagazin Zapp "enthüllte" vergangene Woche, dass Moderatoren von Nachrichtensendungen sich durch Auftritte und Vorträge etwas dazuverdienen. Das ist nichts Neues. Firmen wie Siemens, die Deutsche Bank und Oetker schmücken ihre Mitarbeiterveranstaltungen und Kongresse gerne mit der "heute"-Moderatorin Petra Gerster, dem Tagesthemen-Sprecher Tom Buhrow und anderen bekannten TV-Gesichtern. ZDF-Mann Peter Hahne erhält nach den Recherchen seiner Kollegen 10 000 Euro pro Auftritt, Gersters Honorar liegt bei 14 000 und Buhrow verlangt gar 20 000. Genug, um Deutschlands Neidhammel zu alarmieren. Kaum eine Tageszeitung, die sich nicht empörte. Dabei hatten die Fernsehsender die Nebenjobs ihrer Mitarbeiter in jedem Fall genehmigt. Die Unabhängigkeit der Fernseh-Berichterstattung sei in Gefahr, moralisierte die ach so unabhängige Presse. Wie das? Die Texte der Nachrichtensendungen werden nicht von den Sprechern und Moderatoren geschrieben. Fürchtet man einen falschen Augenaufschlag von Frau Gerster, wenn sie über Herrn Ackermann redet? Aufgescheucht durch die Zeitungsartikel hat der NDR schleunigst eine Krisensitzung angesetzt, in der beschlossen wurde "unangemessen hoch dotierte Nebentätigkeiten" seiner Mitarbeiter zu unterbinden. Die Formulierung stellt klar: Nicht die Nebentätigkeiten sind verwerflich, sondern die neiderregende Höhe der Honorare. 

Samstag, 20. Juni 2009

Verkleidung


"Es gibt keine Maske, die der Geistlosigkeit zu plump wäre, sich dahinter zu verstecken. Sie verhüllt sich in Schwulst, in Bombast, in den Ton der Überlegenheit und Vornehmigkeit und in hundert anderen Formen."
Arthur Schopenhauer (1788-1860)

Freitag, 19. Juni 2009

Wunderheilung


Er war ein kränkliches und scheues Kind. Seine Mutter war Schauspielerin und kümmerte sich so gut wie nie um ihn, weshalb er bei den Großeltern lebte. Mit andern Kindern sah man ihn selten spielen, denn sie verspotteten ihn. Erwachsene seufzten mitleidig, wenn sie den ständig aus der Nase blutenden bleichen Jungen sahen. Man hielt ihn für schwachsinnig, und tatsächlich blieb er lange geistig hinter Gleichaltrigen zurück. Nachdem die Großmutter mit ihm zu einem Wunderheiler in der Nachbarschaft gefahren war, änderte sich sein Zustand deutlich zum Besseren. Der Quacksalber hatte dem Kind gesagt, wenn er schlafe, käme die Nachtkönigin zu ihm und mache ihn gesund. Fortan suchte der Junge nach seiner Nachtkönigin. Erst recht als Mann. Er schlief nach eigenen Angaben mit mehr als 3000 Frauen. Dadurch wurde er berühmter als durch die vielen Bücher, die er im Laufe seine Lebens verfasste. Die Rede ist von Giacomo Casanova (1725-1798).

Donnerstag, 18. Juni 2009

Schlafhormon


Wer wenig schläft, wird dick. Mit diesem verblüffenden Befund überrascht uns Jürgen Zulley, der Leiter des Schlafmedizinischen Zentrums am Universitätsklinikum Regensburg. Unsereins möchte glauben, dass ein schlafender Mensch weniger Kalorien verbraucht als ein wacher. Stimmt schon, sagt Zulley, aber er produziert auch mehr von dem Hormon Leptin. Das signalisiert dem Körper, dass er satt ist. Sobald der Mensch schläft, kommt Leptin in den Blutkreislauf und sorgt dafür, dass man acht Stunden lang kein Hungergefühl entwickelt. Schlafmangel führt zu Leptinmangel - und damit zum unausweichlichen Gang zum Kühlschrank. Danke Herr Zuley. Wieder was gelernt.

Mittwoch, 17. Juni 2009

Geben und Nehmen


Der bereits in vollem Umfang ausgebrochene Wahlkampf führt zu seltsamen Verwerfungen. Politiker sollten sich generell aus Tarifstreitigkeiten heraushalten, zumal bei einer solchen Konstellation. Nicht so in diesem Jahr. Bekanntlich streiken derzeit in vielen Regionen die Erzieher und Sozialarbeiter und demonstrieren für besseren Gesundheitsschutz und mehr Gehalt. Arbeitgeber sind in in diesem Fall die Kommunen, die von den gewählten Vertretern der großen Parteien verwaltet werden. Da überrascht es dann doch, dass auf einer Großkundgebung der Streikenden in Köln sowohl Ursula von Leyen (CDU) als auch Franz Müntefering (SPD) sich mit erhobener Faust zu den Forderungen der Kommunalangestellten bekannten. Ihre Parteigenossen auf der Arbeitgeberseite behaupten im klaren Widerspruch dazu, sie hätten nicht genug Geld, die Forderungen zu erfüllen. Macht nichts, sagen die Wahlkämpfer jeder Couleur. Bis in den Herbst werden Schulden gemacht. Und nach der Wahl werden die Steuern und Sozialabgaben kräftig erhöht, so dass die Erzieher und Sozialarbeiter netto wieder genauso dastehen wie heute.

Dienstag, 16. Juni 2009

Fehlprognose


Billy Elliott ist das derzeit erfolgreichste Broadway Musical. Es hat die meisten Tony-Awards erhalten und bricht Kassenrekorde. In der Geschichte, die es erzählt, geht es um Armut, Vorurteile und andere reale Probleme. Deshalb widerspricht der Erfolg der landläufigen Meinung, die Menschen suchten in schwierigen Zeiten nur heitere, oberflächliche, problemfreie Unterhaltung. Vielleicht ist eher das Gegenteil richtig, nämlich dass eine unsichere Zeit wacher macht für grundlegende Fragen. Waren Krisenzeiten nicht immer schon die besten Jahre des Theaters? Jedenfalls ist Misstrauen angebracht, wenn Producer und Marketing-Strategen zu wissen behaupten, was das Publikum sehen will. Sie neigen dazu, es zu unterschätzen.

Montag, 15. Juni 2009

Frage


Viele träumen ihr Leben lang davon, nur noch zu tun, was sie gern tun. Wäre es nicht einfacher, das gern zu tun, was zu tun ist?

Sonntag, 14. Juni 2009

Blut


Unter dem Titel Big Bang fand gestern Abend das erste deutsche Ultimate Fighting vor 11000 Zuschauern in der Kölner Arena statt. Geboten wurden Zweikämpfe in einem Käfig. Nahezu alle Arten der Prügelei sind dabei erlaubt – boxen, kicken, ringen, drehen, dehnen, quetschen, stoßen, schlagen, würgen. Anders als das getürkte Schaupiel der Catcher gilt das Ultimate Fighting als reguläre Kampfsportart. Natürlich handelt es sich um nichts Anderes als um eine moderne Form der römischen Gladiatorenkämpfe. Befriedigt wird der Blutdurst eines durch Gewaltfilme und Kampfvideospiele abgestumpften Publikums. Was die Zuschauer dabei fasziniert, ist der Brutalität, mit der die Männer im Käfig einander fertigmachen. Manche rufen nach dem Staat, um ein Verbot derartiger Belustigungen zu erreichen. Andere appellieren an das Gewissen der Veranstalter. Es gab vor vielen Jahren einen Fernsehfilm mit dem Titel Das Millionenspiel. Darin wurde ein Mensch einem unterhaltungssüchtigen Publikum zuliebe zu Tode gehetzt. Gestern in Köln hat die Wirklichkeit hat die Fantasie eingeholt.

Samstag, 13. Juni 2009

Gaunerkarriere


Hermann Steinschneider wurde am 2. Juni im Wiener Armenviertel Ottakring geboren. Seine schauspielerische Begabung erlaubte schon dem Vierzehnjährigen, gutes Geld in Wirtshäusern zu verdienen. Bald arbeitete er in diversen Schaustellerbetrieben auf Jahrmärkten und Festwiesen als Glas- und Feuerschlucker, Entfesselungskünstler und Zauberer. Gelegentlich betätigte er sich auch als bestechlicher Skandaljournalist für Revolverblätter. Noch vor dem Ersten Weltkrieg entdeckte er dann sein eigentliches Talent: die Scharlatanerie. Fortan benutzte er sein schauspielerisches Talent und seinen gewinnenden Charme, um ein staunendes Publikum mit Hypnose und Hellseherei zu verblüffen. Das war genau das, was das desillusionierte Europa nach der Katastrophe von 1918 brauchte. Der kleine Vorstadtgauner gab sich einen geheimnisvoll klingenden Künstlernamen und wurde zum Star. Seine Vortragtourneen waren ausverkauft, die Großen und Mächtigen luden ihn ein, Filmproduzenten und Buchverlage boten ihm hochdotierte Verträge an. Als einer der ersten Unterhaltungskünstler organisierte Steinschneider seine Vermarktung professionell: Er stellte einen Stab von Mitarbeitern ein, versandte „persönliche“ Wahrsagereien an Tausende per Nachnahme, hellseherte in einer regelmäßigen Rundfunksendung und gab eine eigene Zeitschrift heraus. Geschickt verschaffte er sich Vorabinformationen, um Ereignisse öffentlich vorauszusagen, deren tatsächliches Eintreffen seinen Ruhm ins Unglaubliche steigerte. So auch den bis heute unaufgeklärten Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933. Diese Prophezeiung wurde ihm zum Verhängnis. Entweder kannte er die wahren Täter oder diese fürchteten seine „hellseherischen“ Fähigkeiten. Am 7. April 1933 fand man einen Mann erschossen in einem Straßengraben, den die Polizei als Hermann Steinschneider identifizierte und den die Welt kannte als Erik Jan Hanussen.

Freitag, 12. Juni 2009

Wurstduell


Als Abgeordneter der Fortschrittspartei geißelte der berühmte Pathologe Rudolf Virchow immer wieder die Politik von Reichskanzler Bismarck. Nach einem besonders boshaften Angriff forderte der beleidigte Bismarck Satisfaktion. Ein als Sekundant zu dem Mediziner geschickter Staatssekretär überließ Virchow lediglich die Wahl der Waffen. Virchow erbat sich Bedenkzeit, und zeigte dem Abgesandten Bismarcks bei seiner Rückkehr zwei Würste. „Die eine Wurst ist mit tödlichen Keimen verseucht,“ erklärte er, „die andere ist völlig in Ordnung. Seine Exzellenz soll entscheiden, welche sie essen will, und ich werde die andere verspeisen.“ Noch am selben Tag ließ Bismarck dem Pathologen mitteilen, er verzichte auf das Duell.

Donnerstag, 11. Juni 2009

Unsagbar


„Die Lösung des Problems des Lebens merkt man am Verschwinden dieses Problems. (Ist dies nicht der Grund, warum Menschen, denen der Sinn des Lebens nach langen Zweifeln klar wurde, dann nicht sagen konnten, worin dieser Sinn bestand?) Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische.“
Ludwig Wittgenstein

Mittwoch, 10. Juni 2009

Out Of Rosenheim


Vater Fischbacher kam als gebrochener Mann aus der Kriegsgefangenschaft und versuchte, seine Erinnerungen in Alkohol zu ertränken. Nur sein sechsjähriger Sohn Siegfried konnte ihm manchmal ein Lächeln entlocken, wenn er ihm einen seiner kindlichen Zaubertricks vorführte. Kaum der Volksschule entwachsen, verließ der Junge in den 50er Jahren das bayerische Rosenheim, ging zuerst als Kellner nach Italien und und heuerte dann als Stewart auf der TS Bremen an. Nach Tisch unterhielt der junge Oberbayer die Gäste an Bord mit Zaubereien. Einer seiner Kollegen, ein fünf Jahre jüngerer Niedersachse namens Uwe, sah den Tricks mit großer Bewunderung zu. Die beiden wurden mehr als Freunde. Uwe, genannt Roy, war ein Tiernarr. In seiner Kabine hielt er heimlich einen zahmen Geparden. Der Kapitän wollte das Tier nicht dulden. Nur weil Fischbacher den Geparden in seine Zaubernummer einbaute, durfte die Raubkatze an Bord bleiben. Dies war der Anfang des langen und stetigen Aufstiegs von Siegfried Fischbacher und Uwe Horn, der sie schließlich nach Las Vegas führte. Als Siegfried und Roy wurden sie weltberühmt. Erst als im Jahre 2003 einer ihrer weißen Tiger Roy schwer verletzte, mussten sie ihre Show, vermutlich für immer, beenden. Inzwischen sind sie auf dem besten Weg, zur Legende zu werden. Am Samstag wird Siegfried Fischbacher siebzig.

Dienstag, 9. Juni 2009

Lateinstunde


"Wer einmal lateinische Grammatik und Syntax gelernt hat, wird sein Leben lang wissen, was Konstruktion, Bau, Klarheit einer Sprache und des menschlichen Sprachausdrucks überhaupt bedeuten - mehr, er wird begreifen, dass in Grammatik und Syntax das Ethos und das Gewissen der Sprache beschlossen sind, ohne das es keine Rechtsprechung und keine Wahrheitsfindung gibt."
Carl Zuckmayer

Montag, 8. Juni 2009

Zielstrebig


Er kam aus einer der reichsten Familien Österreichs. Zum Ärger seines despotischen Vaters hatte er kein Interesse an den Geschäften des Vaters. Stattdessen wollte er Pianist werden. Im Großen Musikvereinssaal in Wien gab er kurz vor dem Ersten Weltkrieg ein gutbesuchtes Konzert. Einige Fachleute fanden sein Spiel großartig. Doch Publikum und Kritiker nahmen ihn nicht als Künstler wahr, sondern nur als Milliardärssohn mit einer Liebhaberei. Als der Krieg ausbrach, war er unter den ersten, die an die Front kamen. Leider auch einer der ersten, die ihm zum Opfer fielen. Schwerverletzt kam er ins Lazerett, wo ihm der rechte Arm amputiert werden musste. Unmittelbar nach der Operation stürmten die Russen das Krankenhaus und erklärten die Patienten zu Kriegsgefangen. Nach Monaten in stinkenden Güterwagen, auf engstem Raum zusammengepfercht mit verhungernden und apathischen Mitgefangenen, gequält von unerträglichen Schmerzen im eiternden Armstumpf fand er sich in einem berüchtigten sibirischen Gefängnis wieder. Dort kratzte er die Tastatur eines Klaviers in den Zellenboden und "übte" unaufhörlich, auswendig gelernte Klavierkompositionen mit einer Hand zu spielen. Wenige seiner Kameraden überlebten Sibirien. Typhus, Ruhr, Unterernährung, Prügel und Zwangsarbeit brachten sie um. Der "stumme Pianist" mit dem einen Arm überlebte die Torturen. Denn er hatte eine Vision. Sie wurde nach unbeschreiblichen Leiden wahr. Nach dem Krieg trat er wieder im Großen Musikvereinssaal auf und spielt Bach, Mendelssohn und Liszt. Mit einer Hand. Zwei seiner Brüder hatten sich umgebracht, einer war Philosoph geworden. Niemand hatte mehr erduldet als der einhändige Pianist. Er hieß Paul Wittgenstein.

Sonntag, 7. Juni 2009

Käse


Erst jetzt erfahren wir, dass es oft Käse ist mit dem Käse, den wir essen. Was aussieht wie eine leckere Käsekruste auf Baguette oder Pizza, besteht häufig aus "Analogkäse". Wer diese geniale Bezeichnung für ein weithin gebräuchliches Imitat erfunden hat, verdiente einen Trickserorden erster Klasse. Denn "Analogkäse" hat mit Käse nichts zu tun, er schmeckt nur zum Verwechseln ähnlich. Der Kunstkäse wird aus Pflanzenfetten und Eiweißverbindungen gemacht. Dazu kommen Geschmacksverstärker und künstliche Aromen, die den natürlichen Käsegeschmack nachahmen. Alles legal. Guten Appetit!

Samstag, 6. Juni 2009

Autostop


Nach Schilderungen von Autofahrern hält eine "schwarze Frau" seit über zwei Jahrzehnten auf der österreichischen Bundesstraße zwischen Pinzgau und Pongau nachts Autos an. Nach einigen hundert Metern steigt die Anhalterin in der Regel wieder aus oder verschwindet auf unerklärliche Weise aus dem Wagen. Einem Mann soll sie gesagt haben, er hätte ohne ihr Auftauchen einen Unfall gehabt. Auf Grund der Beschreibungen glauben Bewohner der Umgebung, die mysteriöse Frau sei der Geist einer im Jahre 1986 auf der Pinzgauer Bundesstraße tödlich verunglückten Kellnerin aus St. Veit. Ein Sprecher der Erzdiözese Salzburg schloss nicht aus, dass es bei der Unheimlichen um einen "echten Spuk" handeln könnte.

Freitag, 5. Juni 2009

Zickzackheld


In einer Dezembernacht des Jahres 1942 landete ein deutscher Spion per Fallschirm in einem Feld in Nordengland. Sein Auftrag: Sabotage der britischen Kriegsaktionen. Er wurde bereits erwartet; die Engländer hatten einen Tipp bekommen. Für sie war der Falschirmspringer kein Unbekannter. Er war ein Landsmann namens Eddie Chapman, vor seiner Ausbildung zum deutschen Spion ein steckbrieflich gesuchter Safe-Knacker, Heiratsschwindler und Hochstapler. Dem englischen Geheimdienst fiel es nicht schwer, Chapman umzupolen. In den folgenden Jahren arbeitete er so geschickt als Doppelagent, dass die Deutschen keinerlei Verdacht schöpften. Seine vorgetäuschten Sabotageakte gerieten so überzeugend, dass die Nazis ihm einen Orden verliehen und zum Ausbilder anderer Spione machten. Zur Sicherung der V1-Angriffe auf London wurde er erneut nach England geschickt, um die Zielgenauigkeit zu verbessern. Chapmans Fehlinformationen retteten wichtige Objekte vor der Zerstörung. Die Motive des "Zickzackagenten" waren Abenteuerlust, Geldgier und wohl auch Vaterlandsliebe. Angeberei war sicher auch dabei. Frauen liebten den Spion mit dem Erroll-Flynn-Bärtchen. Natürlich wechselte er auch als Herzenbrecher die Fronten –sowohl in Deutschland als auch in England bangte eine Verlobte um sein Leben. Doch Eddie Chapman überlebte seine waghalsigen Aktionen. Verschiedene Versuche, sein Leben angemessen zu verfilmen, scheiterten. Manchmal passt das wirkliche Leben auf keine Leinwand. Nach dem Krieg sorgte der Geheimdienst ihrer Majestät dafür, dass "Zigzag" keine Safes mehr knacken musste. Chapman starb im Dezember 1997, genau 55 Jahre nach seinem ersten Fallschirmabsprung über England.

Donnerstag, 4. Juni 2009

Andersrum


"Im Sozialismus hat man zuerst die Konzerne verstaatlicht und dann die Wirtschaft ruiniert, im Kapitalismus macht man es jetzt umgekehrt."
Peter Ensikat

Mittwoch, 3. Juni 2009

Schmeichelpreis


Ein Rabe saß auf einem Baum und hielt im Schnabel einen Käse; den wollte er verzehren. Da kam ein Fuchs daher, der vom Geruch des Käses angelockt war. »Ah, guten Tag, Herr von Rabe!« rief der Fuchs. »Wie wunderbar Sie aussehen! Wenn Ihr Gesang ebenso schön ist wie Ihr Gefieder, dann sind Sie der Schönste von allen hier im Walde!« Das schmeichelte dem Raben, und das Herz schlug ihm vor Freude höher. Um nun auch seine schöne Stimme zu zeigen, machte er den Schnabel weit auf - da fiel der Käse hinunter. Der Fuchs fing ihn auf und lief damit fort.
Jean de La Fontaine (1621-1695)

Dienstag, 2. Juni 2009

Zeitenwende


"Die Zeitenwende fing 1964 an, und zwar mit dem Frankfurter Auschwitzprozess. Ich habe als Kind meine Landsleute erlebt, wie sie bis zum Kriegsende vom Endsieg faselten und schon am nächsten Tag behaupteten, sie hätten von nichts gewusst. Die Täter verwandelten sich von einem Tag auf den anderen in Opfer. Noch lange nach dem Krieg hat man so geguckt, ob da nicht ein SS-Strolch auf einen zukommt. Ich habe immer mein eigenes Volk sortieren müssen. 1954, als sie in Bern Fußballweltmeister wurden, habe ich in Frankfurt gehört, wie nach der Deutschlandhymne wie früher das Horst-Wessel-Lied gebrüllt wurde. Das Gebrüll des Dritten Reichs konnten Sie in den Wochenschauen hören, und im Rundfunk wurde noch immer gebellt. Wenn einer mal Gitarre spielte, kam sofort der Polizeiknüppel. Das waren die Schwabinger Krawalle. Sie machten sich doch damals praktisch schon strafbar, wenn Sie Geschlechtsverkehr hatten, ohne verheiratet zu sein. Wenn Hildegard Knef eine halbe Brust heraushängen ließ, wurde die Aktion Saubere Leinwand aktiv. Mit Ohnesorg hatte das überhaupt nichts zu tun. Ein autoritärer Charakter wie der Kurras passte da hervorragend rein. Dieser schießwütige Mann, von dem es jetzt heißt, wenn wir nur gewusst hätten, dass der IM ist, dann wäre er bestimmt verknackt worden. Das will ich gerne glauben, aber warum erst jetzt und nicht 1967? Damals steckte die Polizei mit der Justiz unter einer Decke, um genau das zu verhindern. Kurras wurde mit Unterstützung der Kollegen und unter dem Beifall der Springer-Presse und der Berliner Bevölkerung freigesprochen. Woraus man lernen kann, dass die Berliner Polizei bis lange nach ’68 Polizisten gedeckt hat."
Klaus Wagenbach in der SZ (30. 05. 09)

Montag, 1. Juni 2009

Flugsicherheit


Wie fliegt man sicherer? Mit dem Captain selbst als Pilot oder dem ersten oder zweiten Offizier am Steuerknüppel? Die Statistik gibt eine überraschende Antwort. Wenn Flugzeuge abstürzen, dann wurden sie meistens von den Chefs gesteuert. Erklärt wird das mit der Komplexität des Cockpit-Geschehens. Fliegen ist Teamarbeit. Wenn der Co-Pilot fliegt, passen die anderen mit auf. Wenn der Captain fliegt, haben die anderen Hemmungen, ihn auf Irrtümer und Fehlentscheidungen hinzuweisen. Inzwischen gibt es Trainer, die Pilotencrews darauf einschwören, die Unfehlbarkeit ihres Vorgesetzten anzuzweifeln. Das Modell ist womöglich auf andere Teams übertragbar.