Samstag, 31. Januar 2009

Blendende Idee


Ein König sollte zwei Untertanen belohnen. Der eine war habgierig, der andere neidisch. "Einer von euch darf einen Wunsch äußern", sprach der Monarch. "Ich werde ihn erfüllen und dem anderen das Doppelte davon zukommen lassen." Da schwiegen beide, denn der Neidische wollte nicht, dass sein Begleiter mehr haben sollte als er selbst, und der Habgierige wollte auf jeden Fall doppelt soviel bekommen wie der andere. Als der König drohte, bei weiterem Schweigen die den beiden zugedachte Gunst zwei beliebigen Bettlern zukommen zu lassen, war der Neidische bereit, als erster zu reden. "Mein Wunsch ist es," sagte er, "dass Sie mir ein Auge ausstechen lassen."
Jüdische Parabel

Donnerstag, 29. Januar 2009

Abschied von John Updike


Man könnte ihn den amerikanischen Thomas Mann nennen, wenn er nicht so unprätentiös gewesen wäre. Seine Sprache war durch und durch gediegen und doch ohne alle Berührungsängste mit der aufmüpfigen Umgangssprache. Er war größer als die literarischen Leuchttürme unserer Zeit, begabter als die Berufsgenies und liebenswerter als die meisten seiner Kollegen. Selbstverständlich erhielt er nie den Nobelpreis. Verdient hätte er ihn mehrfach. Aus tiefer Armut schrieb er sich hoch. Schon als Schüler. Seine makellose Prosa brachte ihn nach Harvard und von dort per Limousine nach New York. Mit seinen Rabbit-Romanen schuf er die Saga der amerikanischen Mittelklasse. Sein Tod ist ein Einschnitt in der Literaturgeschichte, nicht nur Amerikas. Natürlich ist er unersetzlich, aber man kann nicht sagen, dass er eine Lücke hinterlässt. Denn seine Bücher bleiben ja. Man wird sie noch lange lesen. Er wird ein Klassiker werden. Und trotzdem darf man traurig sein, dass John Updike am 27. Januar gestorben ist. 

Verbrechen als schöne Kunst betrachtet


Mag sein, dass es das perfekte Verbrechen nicht gibt. Sicher gibt es aber Verbrechen, die Bewunderung verdienen. Nicht der miese Betrug, die grausame Gewalttat oder die Befriedigung niederer Instinkte gehören dazu. Gewiss aber manche Hochstapelei und das Ausspinnen wahrer Lügenlabyrinthe. Solche Taten werden von schauspielerisch hochbegabten Kreativen begangen. Zuweilen sind darunter wahre Künstler. Natürlich ist von Bernie Madoff die Rede. Er hat ein System erdacht, in dem 50 Milliarden Dollar verschwunden sind. "Ich bin ein armer Mann," sagte er bei seiner Verhaftung, "ich habe nur noch 500 Millionen." Auf Madoff fielen nicht nur Privatanleger, sondern Banken in aller Welt herein. Wahrscheinlich gab ihm das die Befriedigung, die er suchte. 50 Millionen mag einer aus Geldgier stehlen. Zum Diebstahl von 50 Milliarden gehört ein anderes Motiv: Der Ehrgeiz eines Besessenen. 

Dienstag, 27. Januar 2009

Zu plump!


Die Zeit ist der Freund des Geschichtenerzählers. Wenn sie genug Distanz geschaffen hat, erlaubt sie das Berichten von Begebenheiten, die man eigentlich für sich behalten sollte. Diese spielt Anfang der 70er Jahre in München. In dem berühmten Lokal des Kabaretts Lach- und Schießgesellschaft gastierten Werner Schneyder und Dieter Hildebrandt mit ihrer legendären Doppelconferénce. Der Chef der Lach und Schieß, der unvergleichliche Samy Drechsel, versuchte, die beiden ins ZDF zu bringen. Es gelang ihm auch, den Intendanten Stolte mit Ehefrau in eine der Vorstellungen zu locken. Das Programm lief mit gewohnter Schärfe und improvisierter Präzision ab. Danach setzten sich Schneyder und Hildebrand an den Tisch des Ehepaars Stolte. Der ZDF-Chef war offenbar angetan von dem Gesehenen. Ihm gefiel vor allen, dass es im Publikum auch durchaus kontroverse Reaktionen gegeben hatte. Gerade wollte er über ein mögliches Sendedatum reden, als Samy Drechsel an den Tisch trat. Er war nicht mehr ganz nüchtern. Trotzdem begrüßte er Frau Stolte mit Verbeugung und angedeutetem Handkuss. Leider aber auch mit der Frage:"Wie geht es Ihnen, gnädige Frau? Hatten Sie heute schon Geschlechtsverkehr?" Er erhielt keine Antwort, aber wenige Tage später die Nachricht, dass das ZDF an der geplanten Übertragung des Kabarettprogramms nicht interessiert sei.

Montag, 26. Januar 2009

Der Himmel ist kein Aldi



"Alles, was wir zu leicht erringen, schätzen wir gering. Allein nach der Mühe, die uns der Erwerb kostet, beurteilen wir den Wert von allem und jedem. Der Himmel versteht sich sehr gut darauf, uns den richtigen Preis von dem, was wir erhalten, zuzumessen."

Thomas Paine

Sonntag, 25. Januar 2009

Bewiesen: Die Zukunft gehört den Kreativen!


Fast alle Eltern wollen, dass ihr Kind etwas "Anständiges" lernt, womit ein Beruf mit gesichertem Einkommen und gesellschaftlichem Ansehen gemeint ist. Auch wenn der Junge oder das Mädchen lieber Geschichten erfindet, Musik macht, Comics zeichnet oder Videos dreht - er oder sie soll doch erst mal Jura oder Betriebswirtschaft studieren oder eine Banklehre beginnen. Es sieht allerdings mehr und mehr so aus, als wäre genau das die falsche Entscheidung. Am Ansehen und gesicherten Einkommen der Banker, Juristen und Betriebswirte darf derzeit ohnehin gezweifelt werden. Unabhängig davon scheint die Ära der "Linksdenker" überhaupt vorbei. "Linksdenker" sind nicht etwa Karl-Valentin-Verehrer. Ganz im Gegenteil. Es sind Leute, die vor allem die linke Hirnhälfte strapazieren, in der das logische, sprachliche und analytische Denken passiert. Sie waren die Karrieristen des Informationszeitalters. Ihre Aussichten sind neuerdings trübe, behauptet Daniel H. Pink in seinem Buch A whole new mind. Er hat - ganz "Linksdenker" - überzeugende Beweise dafür zusammengetragen. Seine These: Die Zukunft gehöre denen, die mehr mit der rechten Hirnhälfte denken. Den Kreativen also. Den Träumern, Spielern, Künstlern. Schon jetzt würden die meisten linguistischen und mathematischen Routineaufgaben von Computern übernommen oder in Billiglohnländer vergeben. Design und "Narration" bestimmten schon heute über den Erfolg von Industrieprodukten. Wer nicht kreativ ist, könne in der Welt von morgen nicht erfolgreich sein. Man muss nicht mit jeder Behauptung Pinks übereinstimmen, um sein flott geschriebenes Buch hochinteressant und anregend zu finden. Vorsicht, liebe Eltern! Daniel H. Pink könnte eure Einstellung zur Berufswahl des begabten Nachwuchses tiefgreifend ändern!

Samstag, 24. Januar 2009

Bewährung


Am Donnerstag verhandelte ein Würzburger Gericht gegen einen 50jährigen Pater, der in einem Sexshop regelmäßig Filme homoerotischen Inhalts geklaut hatte. Insgesamt mindestens 50 "scharfe" DVDs mit schwulem Sex. Dem Pater, ein Benediktiner aus dem Kloster Maria Laach, war die Sache etwas peinlich. Er beantragte den Ausschluss der Öffentlichkeit, aber der Richter kannte in dieser Beziehung keine Gnade. Für diese Bagatelle brummte er dem Geistlichen sieben Monate Haft auf, allerdings auf Bewährung. Warum der Fall erwähnenswert ist? Er zeigt: Das Zölibat ist nicht das einzige Problem der katholischen Priester, und die Kirche sollte sie so anständig entlohnen, dass sie sich wenigstens die Leihgebühr für Pornos leisten können.

Donnerstag, 22. Januar 2009

Autoren und Kritiker



Künstler wollen geliebt werden. Während ausübende Künstler ihr Selbstbewusstsein im Applausbad stärken können, bleibt den schaffenden Künstlern nur die Resonanz der Medien. Deshalb hoffen sie auf Bestätigung durch lobende Kritik. Entgegen allen Beteuerungen lesen Autoren jede Besprechung ihrer Werke, sie hungern geradezu danach. Doch Kritiker sind keine liebenden Förderer ehrgeiziger Künstler noch verständnisvolle Psychologen. Daher ist die Lektüre der Rezessionen immer enttäuschend. Selbst im äußerst selten Fall eines Medienjubels. Denn garantiert ist unter hundert Kritiken eine, die kränkt. Dabei spielt es keine Rolle, ob der böse Nebensatz in einer der großen überregionalen Zeitungen oder in einem Provinzblättchen steht. Der Schmerz ist derselbe. Er trifft den Autoren in tiefster Seele und nimmt ihm die Freude an all dem anderen Lob. Der erfahrene Autor erwartet daher nie etwas anderes als Bosheit. Alan Jay Lerner, Librettist von My Fair Lady und anderen Welthits: "Ich bin schon zufrieden, wenn sie mich nicht persönlich erniedrigen!" 

Mittwoch, 21. Januar 2009

Bushs letzter Streich


Über die Fehler des 43. Präsidenten der Vereinigten Staaten ist reichlich geschrieben worden. Weitgehend unbeachtet blieb allerdings, dass Guantanamo die strafrechtliche Verfolgung der wirklichen Urheber von 9/11 so gut wie unmöglich gemacht hat. Das ist die Pointe der von Bush gebilligten Rechtsbrüche. Nach amerikanischem Recht (das deutsche ist da weit großzügiger), dürfen Beweise nicht verwendet werden, die auf einen rechtswidrig erhaltenen Hinweis erlangt wurden. Da die wahrscheinlichen Drahtzieher des Anschlags gefoltert wurden, sind alle auf Grund der erpressten Geständnisse erlangten "harten" Beweise unzulässig vor einem amerikanischen Strafgericht. Die Geständnisse selbst sowieso. Was für eine Ironie: Dadurch dass Bush die US-Justiz aushebelte, hat er in Wahrheit den Angeklagten geholfen. Vorausgesetzt, dass Obama dem Recht wieder Geltung verschafft, wird die Bestrafung der wenigen wirklich Schuldigen unmöglich sein. 

Dienstag, 20. Januar 2009

Traumberuf


Wie viele Menschen hatte auch der Schweizer Markus Studer einen Kindheitstraum. Er wollte Fernfahrer werden, mit einem 40-Tonner durch Europa donnern. Doch die Weichen waren anders gestellt. Gymnasium, Abitur, Medizinstudium. Studer wurde Herzchirurg. Einer der besten. Wer den Beruf kennt, weiß, welche Anforderungen an Psyche und Physis er stellt. Daher kam es vor, dass der Arzt nach Feierabend oft seufzend über seinen Kindheitstraum sprach. Nach seinem 60. Geburtstag hatte seine Frau genug davon. "Red nicht immer davon. Tu's halt, wenn es das ist, was du willst." Worauf Dr. med. Studer noch einmal in die Fahrschule ging, einen erfahrenen Trucker als Trainer engagierte und seine nicht geringen Ersparnisse zum Kauf eines 40 Tonners verwendete. Seit nunmehr 5 Jahren lenkt er jetzt seinen Brummi über Europas Straßen und legt locker 500 000 km pro Jahr zurück. Für sein Glück opferte er ein hohes Einkommen und eine bewunderte soziale Stellung. Klingt wie gut erfunden. Ist aber wahr. Nachzulesen in dem Buch von Markus Maeder: Vom Herzchirurgen zum Fernfahrer. Nachahmung empfohlen.

Montag, 19. Januar 2009

Stauffenberg


Am kommenden Dienstag wird "Operation Walküre - Das Stauffenberg Attentat" auf der Berlinale seine Europapremiere feiern. Der Film macht seit zwei Jahren Schlagzeilen. Vor allem Tom Cruise und die historische Genauigkeit des Drehbuchs wird diskutiert. Wichtiger wär's, über das Attentat selbst nachzudenken. Denn: Der 20. Juli 1944 ist ein Mythos der 50er Jahre. Fast alle männlichen Deutschen waren in der Wehrmacht gewesen, ihre Frauen und Kinder sahen in ihnen nach wie vor brave Vaterlandsverteidiger. Andere, weit mutigere Hitler-Attentäter waren den gerade erst entnazifizierten Deutschen nicht zu verkaufen. Es musste schon ein ehrenwerter Wehrmachtsoffizier sein. Heutzutage darf gefragt werden, warum das Gewissen Stauffenberg und seine Mitverschwörer erst zur Tat trieb, als das fröhliche Siegen, Erobern und ethnische Säubern vorbei war und die Niederlage selbst für fanatische Hitlerverehrer absehbar. Leute in Führungspositionen der Wehrmacht wussten schon seit Beginn des Krieges von den Gräueln, die im Osten begangen wurden, wenn sie nicht sogar persönliche Verantwortung dafür trugen. Die Wehrmacht war tief verstrickt in die Verbrechen. Aber solang sie auf einem Eroberungsfeldzug war, blieb der Widerstand dieser Herren auf Tischgespräche und Hitlerwitze beschränkt. Die "Ehre Deutschlands" konnten sie 1944 nicht mehr retten. Es ging ihnen um einen gnädigen Frieden und die viel zu späte Distanzierung der Wehrmacht von den Mördern, denen sie in einem widerwärtigen Eroberungskrieg willfährig und häufig begeistert gedient hatte. Zum Glück war Stauffenberg nicht bereit, sich selbst zu opfern. Deshalb scheiterte das Attentat. Wäre es geglückt, hätte Deutschland eine Militärdiktatur statt einer Demokratie bekommen. Auch wenn der fragwürdige Mythos der 50er Jahre vom 20. Juli nun den Segen Hollywoods erhält: Stauffenberg bleibt ein fragwürdiger Held. 

Sonntag, 18. Januar 2009

Quecksilbersäule


Nach nur wenigen Wochen Spielzeit verließ vor ein paar Tagen der TV-Star Jeremy Piven die Cast der neuen Brodwayproduktion von "Speed The Plow", einem der bekanntesten Theaterstücke des großen David Mamet. Für Produzenten und Autor war das ein Schock, denn man hatte die ganze Werbung auf Jeremy Piven ausgerichtet. Ganz überraschend war der Weggang allerdings nicht. Schon während der Proben gab es offenbar Differenzen. Trotz eines langfristigen Vertrag ist juristisch wenig zu machen, denn Jeremy Piven's Agent legte ein Attest vor, wonach die Blutwerte des Schauspielers einen erhöhten Quecksilberspiegel aufweisen. Produzenten und Autor trafen sich zu einer Krisensitzung. Es ging um die Frage, welche Pressemeldung man herausgeben soll. Nach langer Erörterung machte David Mamet folgenden Vorschlag: "Jeremy Piven verließ das Ensemble, um sich seiner neue Karriere als Thermometer zu widmen."

Samstag, 17. Januar 2009

Kitsch - Definition Nummer 1


"Das ästhetische Ideal der kategorischen Aussöhnung mit dem Sein ist eine Welt, in der Scheiße negiert wird und jeder so tut, als ob es sie nicht gäbe. Dieses ästhetische Ideal nennt man Kitsch. Kitsch ist die absolute Ignorierung der Scheiße, sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Wortsinn; Kitsch schließt alles aus der Wahrnehmung aus, was der menschlichen Existenz prinzipiell zuwider ist."
Milan Kundera

Freitag, 16. Januar 2009

Provinzler


Provinz ist kein Ort sondern eine Denkhaltung. Provinzler denken klein, daher erscheint ihnen alles Nahe größer, als es ist. Das Ferne sehen sie ohnehin nur verschwommen oder gar nicht. Im Zeitalter der weltweiten Kommunikationstechnik muss nirgends Provinz sein. Dass sie in den Köpfen bleibt, ist traurig. Gerade das trotzige Weltmänner-Gehabe verrät den Provinzler. In jedem zweiten Satz betont er, dass er in New York und London mehr zuhause ist als in Bielefeld. Was nützt das? Er trägt ja die Provinz in sich überallhin mit. 

Donnerstag, 15. Januar 2009

Folter in Deutschland


Die Erosion des bundesrepublikanischen Rechtsstaates schreitet munter fort. Wundern muss man sich über die Gleichgültigkeit einer Öffentlichkeit, die sonst auf die geringste Bedrohung ihres Wohlbefindens mit Hysterie reagiert. Inzwischen können wir auf bloße Vermutung hin beschattet und  abgehört werden, der Staat darf unsere Computerfiles lesen und Google weiß sowieso alles, was wir tun, denken und hoffen. Neuerdings werden auch Geständnisse erpresst. Was? In Deutschland? Allerdings. Die amerikanische Methode des "Deal Bargaining" ist bereits fester Bestandteil unserer Rechtspraxis. Funktioniert so: Der Staatsanwalt hat Probleme mit der Beweisbeschaffung. Also sagt er in Absprache mit dem Richter zu dem Angeklagten, er müsse bei einem regulären Verfahren mit fünf Jahren Gefängnis rechnen. Würde er jedoch gestehen, dann käme er mit einer Bewährungsstrafe davon. Durch Drohung mit Untersuchungshaft oder hoher Strafe nötigt man den Beschuldigten zum Geständnis. Prinzipiell ist das eine Art von psychischer Folter, die eines Rechtsstaats unwürdig ist. Unsere Juristen schweigen, und der brave Bürger denkt, ihn betreffe das sowieso nicht. 

Mittwoch, 14. Januar 2009

Musical und Schule


In amerikanischen Schulen ist es üblich, dass Schulklassen jedes Jahr ein Musical einstudieren. Nicht um Schüler zu Schauspielern, Sängern und Tänzern zu machen, sondern um sie an ein Arbeiten im Team zu gewöhnen. Jeder bekommt eine Aufgabe; wer künstlerisch ganz unbegabt ist, wird beim Kulissenbau oder dem Sound- und Lichtdesign eingesetzt. Mehr als im sportlichen Wettbewerb wird so das Gegeneinander zu einem Miteinander. Bei der Aufführung vor Eltern und Mitschülern sind dann alle mächtig stolz. An deutschen Schulen wird so etwas im normalen Lehrbetrieb nicht gern gesehen. Einige Lehrer machen das in ihrer Freizeit gegen oft heftige Widerstände der Schulleitung und Kollegen. Um so erfreulicher ist eine Initiative der Hamburger Stahlberg-Stiftung, die den Namen "musical@school" trägt. Dr. Stahlberg schickt ein Team von Musicalprofis an verschiedene Hauptschulen. Diese bringen in kürzester Zeit die häufig völlig demotivierten Schüler von verschiedenster ethnischer Herkunft zum gemeinsamen Spielen und Tanzen. Gerade die Hauptschüler der problematischen Stadtbezirke, die sich von der Gesellschaft schon aufgegeben fühlen, sind ungeheuer dankbar für diese Erfahrung. Keiner, der das miterlebt hat, kann an der pädagogischen Wirkung von "musical@school" zweifeln. Man muss alles tun, um diese Arbeit der Stahlberg-Stiftung zu unterstützen und zu ergänzen.

Montag, 12. Januar 2009

Der Mime als Musikant


"War Wagner überhaupt ein Musiker? Jedenfalls war er etwas Anderes mehr: nämlich ein unvergleichlicher Histro, der größte Mime, das erstaunlichste Theatergenie, das die Deutschen gehabt haben, unser Szeniker par excellence. Er gehört woandershin als in die Geschichte der Musik; mit deren großen Echten soll man ihn nicht verwechseln. Er war auch als Musiker nur das, was er überhaupt war. Er wurde Musiker, weil sein Schauspielergenie ihn dazu zwang. Wagnermusik, nicht vom Theatergeschmack in Schutz genommen, ist einfach schlechte Musik..."
Friedrich Nietzsche

Sonntag, 11. Januar 2009

Diagnose: Affluenza


Unser ökonomisches System ähnelt einem monströsen Fettwanst, der jeden Tag mehr frisst als am Tag vorher. Wenn die Ration einmal zwei oder drei Tage lang gleich bleibt, glaubt das Ungeheuer zu verhungern und sieht sich in der Krise. Sollte es nicht eher fürchten, irgendwann an Übergewicht zu verenden? Zu den in der westlichen Welt am schnellsten wachsenden Branchen gehört die Vermietung von Stauraum zum Einlagern von Möbeln, Kleidung und überflüssigem Kram. Mit einem Umsatz von über 17 Milliarden jährlich hat dieser Geschäftszweig in den USA bereits die Filmbranche überflügelt. Auch in Deutschland boomt das Selfstorage-Business. Die Leute haben zu viel Zeug. Es wird immer schwerer, ihnen einzureden, dass sie mehr, mehr und noch mehr kaufen müssen, was sie nicht brauchen. Nicht ganz sinnlos, wenn es denn ein weiteres Buch sein muss, wäre die Anschaffung von Affluenza von John de Graaf, David Wann und Thomas H. Naylor. Die drei analysieren die Fresssucht des Fettwanstes als Krankheitssymptom. Ein Denken gegen den Trend. Denn heute sorgen sich alle viel mehr um die angeblich bevorstehende und möglicherweise unheilvolle Appetitlosigkeit des Fettwanstes als um seine Affluenza. 

Robespierre


Gott schütze uns vor den Weltverbesserern und den Einserjuristen. Vor allem aber vor den weltverbessernden Einserjuristen. So einer war Maximilien de Robespierre. Die anderen Führer der Französischen Revolution, Marat, Mirabeau, Danton, waren doch wenigstens gierig, geil oder gewissenlos. Robespierre war der unbestechliche Musterknabe. In gewisser Weise nahm er den Typus des mordenden Buchhalters, diese Horrorgestalt des 20. Jahrhunderts, bereits vorweg. Ein Provinzadvokat, der sich zum Anwalt der Französischen Nation machte. Kein schlauer Politiker, kein glühender Idealist, sondern ein scheuer Sonderling erwies sich als die einflussreichste Gestalt der Revolution. Dabei war er ein lausiger Redner, ein humorloser Langweiler und ein moralinsauerer Spielverderber. Wenn ihn doch wenigstens Blutgier oder Ehrgeiz getrieben hätten. Aber nein, er schickte die Leute nur deshalb auf die Guillotine, weil er alles richtig machen, sich keine Schwäche erlauben wollte. Natürlich ging er nicht selbst zu den Hinrichtungen. Er konnte kein Blut sehen.

Freitag, 9. Januar 2009

Erzählkunst


Jeder gute Geschichtenerzähler baut aus interessanten Charakteren und Ereignissen ein Rätselgebilde und stellt dem Leser oder Zuhörer die Aufgabe, es zu lösen. Der Autor benutzt dazu zweierlei: er verrät gewisse Dinge und er verheimlicht andere. Das Verheimlichen oder Verstecken ist die eigentliche Kunst. Wenn der Leser oder Zuhörer das Gefühl bekommt, er wisse schon alles, verliert er das Interesse. Nur solange noch irgendetwas rätselhaft ist, geht die Geschichte weiter. Wenn es kein Geheimnis mehr gibt, endet sie. 

Donnerstag, 8. Januar 2009

Erfahrungstatsache


Ein Fundstück aus der brandneuen Autobiografie des wunderbaren Charles Strouse, der unsterbliche Broadwayhits wie "Applause" und "Anne" geschaffen hat. Im Verlauf der Geschichte, so seine Erfahrung, hätten sich vier Triebe des Menschen als unüberwindlich erwiesen: das Bedürfnis nach Nahrung, die Suche nach Schutz, die Gier nach Sex und die unbezwingbare Lust, das Musical eines anderen umzuschreiben.

Dienstag, 6. Januar 2009

Nicht alles so positiv


"Die Musikbranche ist eine stinkende Geldkloake, ein riesenhaft aufgeblasener Plastikschlauch, in dem sich Gauner und Zuhälter herumtreiben und anständige Leute vor die Hunde gehen. Aber sie hat auch negative Seiten."
Frei nach Hunter S. Thompson

Falsche Berufswahl


In den Fünfziger Jahren eroberten Arthur Millers Dramen die Theater der Welt. Nach dem Sensationserfolg von Death Of A Salesman kam auch The Crucible an den Broadway. Am Tag vor der Premiere bummelte der Dramatiker in einer Probenpause durch die 48ste Straße und blieb bei einem Hot-Dog-Stand stehen. Als er die Wurst bezahlte, erkannte er in dem Verkäufer einen Schulfreund. Sie begrüßten sich herzlich und tauschten die üblichen Schulerinnerungen aus. "Was machst du denn in New York?", fragte der Hot-Dog-Verkäufer. Miller erzählte nicht ohne Stolz von seinen internationalen Erfolgen, dem Pulitzer Preis und der bevorstehenden Broadwaypremiere. Seine Würstchen drehend meinte der Schulfreund: "Wahrscheinlich hätte ich auch so was machen sollen." 

Montag, 5. Januar 2009

Yoko Marcos


Vergesst Imelda Marcos! Wie in der brandneuen John-Lennon-Biografie von Philip Norman nachzulesen ist, war Yoko Ono die weit aktivere Schuh- und Klamottensammlerin. Im Dakota Building, das John und Yoko bewohnten, mussten für die Einkäufe regelmäßig freiwerdende Wohnungen dazugekauft werden. Selbst der kleiderwütige Elton John, der die Lennons öfter besuchte, war beeindruckt. Nach der Besichtigung mehrerer Stockwerke voll Kleidungsstücken dichtete er John Lennons berühmtesten Song um: "Imagine six apartments, it isn't hard to do, one is full of fur coats, the other's full of shoes..."

Sonntag, 4. Januar 2009

Goldene Eier


Der griechische Dichter Aesop erfand vor 2600 Jahren die Fabel von den goldenen Eiern: Ein armer Bauer entdeckt eines Tages im Nest seiner Gans ein goldglänzendes Ei. Erst denkt er, sein Nachbar hätte sich einen Scherz mit ihm erlaubt. Als er das Ei jedoch zum Goldschmied bringt, bestätigt ihm der, dass es aus massivem Gold ist. Auch am nächsten Tag legt die brave Gans ein goldenes Ei, und zwei Tage später wieder, und so fort mehrmals die Woche eins. Auf dem Bauernhof bricht der Reichtum aus. Mit ihm die Gier. Der Bauer will nicht jeden Tag darauf warten, ob wieder ein Goldei im Nest liegt. Er will alle Eier auf einmal. Kurz entschlossen schlachtet er die Gans. Natürlich muss er feststellen, dass der Gänsebauch leer ist. Mit den goldenen Eiern ist es ein für allemal aus. So weit die Originalerzählung. Man kann nun einfach darüber schmunzeln und die Geschichte für ein nettes Märchen halten. Man kann sich aber auch an Stelle des Bauern einen Industriemanager, einen Banker, einen Musicalproducer oder sonst wen vorstellen. Wenn man dann der Gans und den goldenen Eiern entsprechende Bezeichnungen gibt, ist Aesops Fabel auf einmal verblüffend aktuell. Zur Zeit ist Schlachtung. Allerorten sieht man dumme Gesichter.

Samstag, 3. Januar 2009

Erfolgsgeheimnis


Kanadas legendärer Eishockey-Star Wayne Gretzky wurde gefragt, warum er so viel besser spielt als alle anderen. "Die meisten Spieler," antwortete er, "laufen dahin, wo der Puck ist; ich laufe dahin, wo der Puck sein wird."

Freitag, 2. Januar 2009

Kulturbeitrag


Man stelle sich vor, dass in der noblen Klassikerreihe des Winkler Verlags nach Goethe, Schiller und Heine die gesammelten Werke eines deutschen Liedertexters erscheinen. Geht nicht, ist unvorstellbar. In den USA ist etwas Vergleichbares geschehen. Der Knopf-Verlags, der Shakesspeare, Walt Whitman und Virginia Woolf in kommentierten Editionen verlegt, hat soeben die gesammelten Liedertexte von Oscar Hammerstein II veröffentlicht. Stöhnt da die amerikanische Intelligenz auf? Im Gegenteil. Die New York Times ist begeistert. Die Musicaltexte von Hammerstein seien unvergängliche Beiträge zur Entwicklung des Musiktheaters und "Bestandteil der Textur der modernen Zivilisation". Okay, wir haben keinen Hammerstein. Aber wenn wir ihn hätten, müsste auch er sich hierzulande gegen den Vorwurf wehren, "nur" U-Texte geschrieben zu haben. Weil bei uns die Kultur grundsätzlich dort aufhört, wo ein breites Publikum erreicht wird.

Donnerstag, 1. Januar 2009

Im Roggen gefangen


Zu früh Erfolg zu haben, ist kein Segen. In einem fulminanten Roman schrieb sich ein völlig unbekannter junger Mann die Frustration von der Seele, die sich in seiner Schul- und Studentenzeit aufgestaut hatte. Das Buch trug den merkwürdigen Titel "The Catcher in the Rye" (Der Fänger im Roggen), handelte aber weder von Catchern noch von Getreide. Vielmehr schilderte es das Ausflippen eines rebellischen Jugendlichen, der gegen Eltern, Lehrer und Konventionen aufbegehrt. Das Werk des bis dahin unbekannten Autoren wurde zum Sensationserfolg. Literarisch nahm es die Ikonografie von Marlon Brando und James Dean vorweg. Bis heute ist "The Catcher in the Rye" die Bibel vieler aufmüpfiger Teenager, nicht nur in Amerika. Jerome David Salinger, der Verfasser, wurde fast über Nacht zu einem der Großen der Literaturszene. Sein Pech. Er schrieb andere Bücher und Beiträge für renommierte Zeitschriften. Aber ein vergleichbarer Wurf konnte ihm nicht mehr gelingen. Auch Schriftsteller knacken den Jackpot nur einmal. Im Juni 1965, vierzehn Jahre nach Veröffentlichung des ersten Romans, gab Salinger auf. Nicht das Schreiben, nur das Hoffen. Da er es leid war, vergebens auf einen zweiten Erfolg zu warten, verzichtete er fortan auf die Publikation seiner Werke. Er behauptete, nur noch für sich selber schreiben zu wollen. Quatsch. Kein Autor schreibt nur für sich selbst. Schon gar nicht einer, der den Weltruhm geschmeckt hat. Vermutlich musste er sich selbst belügen, um nicht in Depressionen zu stürzen. Heute feiert J. D. Salinger seinen 90. Geburtstag. Wahrscheinlich. Ganz genau weiß man nämlich nicht, ob er noch lebt. Niemand kennt seinen Aufenthalt. Das aktuellste Foto von ihm ist über 40 Jahre alt.