Samstag, 28. Februar 2009

Krisenzauber



"Die Tragödie unserer Gesellschaft besteht darin, dass wir nur ein Drittel der Beglückungsmöglichkeiten des Zauberers praktizieren. Wir finden es nur toll, erscheinen zu lassen - Waren, Bauten, Zuwachsraten, Besitz. Nicht nützen wir die Chance, uns am Verschwindenlassen zu erfreuen. Wir wollen nicht dafür bezahlen, dass etwas plötzlich nicht mehr da ist. Wir reden vom Fehlen statt vom Gewinn des Vakuums. Wir denken an Rückschritt oder Verlust, wenn Standing Ovation über Blitzartigkeit des Verschwindens angebracht wäre."
Werner Schneyder

Freitag, 27. Februar 2009

Eigentherapie


"Meine Bedeutung für die Welt ist relativ gering. Andererseits ist meine Bedeutung für mich selbst gewaltig. Ich bin alles, was ich habe, um zu arbeiten, zu spielen, zu leiden und Freude zu empfinden. Nicht was die anderen von mir denken, ist mir wichtig, sondern mein eigenes Urteil. Ich habe nicht die Absicht mich schärfer zu kritisieren als unbedingt notwendig. Je weniger Illusionen ich mir über mich und meine Umwelt mache, desto besser komme ich mit mir aus."
Noel Coward

Donnerstag, 26. Februar 2009

Vincents Ohr


Selbst Kunstbanausen wissen seit über hundert Jahren, dass sich Vincent van Gogh ein Ohr abgeschnitten hat. Für die meisten ist das überhaupt alles, was sie über den holländischen Maler wissen. Die Geschichte stimmt aber gar nicht. Die Wissenschaftsautoren Rita Wildgans und Hans Kaufmann haben jetzt schlüssig bewiesen (Van Goghs Ohr, Berlin 2008), dass Paul Gauguin seinem Kollegen das Ohr mit einem Degen abgeschlagen hat. Der Hergang war wohl so: Die beiden Maler gerieten nach einer Sauftour in heftigen Streit. Auf der Straße vor einem Bordell zog Gauguin den Degen. Der Hieb hätte van Gogh töten können, doch weil er auswich, traf er nur das Ohr. Vincent hob es schreiend auf und drückte es einer Hure, die aus dem Freudenhaus gelaufen kam, in die Hand. Gauguin begab sich seelenruhig in sein Hotel, der blutüberströmte Vincent schleppte sich nachhause, wo er sich aufs Bett warf. Nun ja, beide waren offenbar sternhagelblau. Die Blutspur rief am nächsten Morgen die Polizei auf den Plan. Vincent verweigerte jede Erklärung. Man verhörte Gauguin, der die Version zum Besten gab, die seither zum festen Repertoire der Kunstgeschichte gehört und bis vor kurzem nie bezweifelt wurde: im Wahn habe sich van Gogh vor dem Spiegel das Ohr abgeschnitten und sei damit zu einm Bordell gelaufen, wo er es einer Hure übergeben hätte. Die Polizei fragte Vincent, ob das denn stimme. Er sagte nichts, wohl weil er den Freund nicht ins Gefängnis bringen wollte. Zu Gauguin bemerkte er beim Auseinandergehen: "Sie sind schweigsam, und ich werde es auch sein."

Mittwoch, 25. Februar 2009

Wertungen


Theologie, Philosophie und Jurisprudenz haben das ihre getan, um uns über Gut und Böse aufzuklären. Sie gründen auf göttlicher Offenbarung, Logik und einer in Jahrhunderten gewachsenen Rechtsordnung. Woran es fehlt, ist eine soziologische Analyse unseres Wertesystems. Woran liegt es, dass wir Ärzte mehr respektieren als Gymnasiallehrer? Weshalb werden offizielle Würdigungen mit Bach und Haydn eröffnet statt mit Rodgers oder McCartney? Warum gilt Goethe mehr als Heine, Mann mehr als Zweig, Wagner mehr als Offenbach? Gott, Logik und Gesetz wissen darauf keine Antworten. Vielleicht gibt es objektive Kriterien für solche Wertungen, aber man darf zweifeln, ob sie entscheidend sind. Wenn wir ehrlich sind, werten wir selbst nur in Ausnahmefällen selbst. Wir übernehmen die Ansichten, die uns als Mitglieder der Gesellschaftsschicht ausweisen, der wir zugehören wollen. Wertungen werden angezogen wie schickliche Kleidung und unterliegen wie diese dem Wandel der Mode. Man definiert sich durch das, was man gut heißt oder ablehnt. Dafür muss man ungeschriebene Katechismen kennen: ein linker Intellektueller darf nicht für Atomkraft sein, ein Konservativer darf sie nicht ablehnen. Akademiker finden Pilcher zum Kotzen, auch wenn sie heimlich das ZDF anschalten; Bauarbeiter, die nicht RTL gucken, werden zu Außenseitern. Ganz normal? Vielleicht haben wir uns nur zu sehr daran gewöhnt, um dieses System der Wertungen zu hinterfragen.

Dienstag, 24. Februar 2009

Naturgesetz


Wenn ein  Zweig in deinem Herzen grünt, wird ein Vogel zu dir fliegen und zu singen beginnen.
Chinesisches Sprichwort

Montag, 23. Februar 2009

Damoklesschwert


Langsam darf es dem Bundesbürger schon ein wenig mulmig werden, wenn er das Krisenmanagement seiner Regierung beobachtet. Der Haushalt der Bundesrepublik Deutschland beträgt insgesamt 290 Milliarden Euro. Das sind ohnehin schon 45 Milliarden mehr als die Summe aller Steuereinnahmen. Wer regelmäßig mehr ausgibt, als er einnimmt, häuft Schulden an. Die muss er irgendwann bezahlen oder den Bankrott erklären (womöglich denkt mancher, das gelte nur für Privatleute; leider haben aber die Gesetze der Arithmetik universale Bedeutung). Als wäre diese Haushaltsführung nicht beängstigend genug, werden derzeit die Milliarden dutzendweise in eine Privatbank namens Hypo Real Estate gepumpt. Bisher geht es um Garantien in Höhe von 102 Milliarden, also mehr als ein Drittel des gesamten Haushalts. Die HRE, das ist ein offenes Geheimnis, wird noch mehr brauchen, womöglich mehr als die nächsten beiden Drittel der Vergleichssumme. Noch ist die atemberaubende Summe nur zugesagt, was aber, wenn sie demnächst abgerufen wird? Unter diesem Damoklesschwert leben wir, unsere Kinder und Kindeskinder. Nun versichern alle Experten, dass die HRE nicht pleitegehen darf, weil dies in Folge eines Dominoeffektes letztlich den "kleinen Mann" treffen würde. Pfandbriefe und Lebensversicherungen wären womöglich über Nacht wertlos. Falls das stimmt, darf man fragen, ob es nicht sinnvoller und preiswerter wäre, die Milliarden direkt zum Schutz des kleinen Mannes einzusetzen. Dem einzelnen Bürger, nicht einer ominösen Bank sollte die Regierung ihre Garantien geben. Das würde die Situation vielleicht nicht weniger bedrohlich erscheinen lassen. Aber wenigsten könnten dann nicht nur Banker das Handeln der Regierung nachvollziehen.

Sonntag, 22. Februar 2009

Trennung


Mit einem guten Dutzend Broadway-Erfolgen und Schlagern wie “My Funny Valentine”, “Blue Moon”, “Bewitched, Bothered and Bewildered”, “The Lady is a Tramp” oder “Where or when” war das Autorenteam Lorenz Hart und Richard Rodgers weltberühmt geworden. Gemeinam hatten sie einen Stil kreiert, der die Kunst des Liederschreibens für immer veränderte. Und doch waren die beiden grundverschieden: Diszipliniert und pedantisch der eine, unberechenbar und chaotisch der andere. Rodgers saß jeden Tag pünktlich um 9 Uhr morgens am Klavier. Hart schlief prinzipiell bis zum frühen Nachmittag und kam zu Verabredungen zu spät oder gar nicht. Er war Alkoholiker. Wenn er abstürzte, war tagelang nicht mit ihm zu rechnen.
Nach dem Erfolg ihrer Show “By Jupiter” hatte Rodgers einen neuen Stoff im Auge. Er brannte darauf, mit der Arbeit zu beginnen, doch Hart blieb für Wochen verschwunden oder nicht ansprechbar. Schließlich gelang es dem Musikverleger des Teams, ein Treffen in seinem Büro zu arrangieren.
Lorenz Hart, ein glatzköpfiger, kleiner Mann mit dunklem Teint und schwarzen Bartstoppeln, sah aus, als hätte er seit Wochen nicht mehr geschlafen.
“Ich möchte eine neue Show schreiben,” sagte der makellos gekleidete, frisch rasierte Richard Rodgers. “Aber wie ich sehe, bist du zu einer solchen Arbeit momentan nicht in der Lage. Ich werde Oscar Hammerstein fragen, ob er interessiert ist.”
Verletzender hätte Rodgers kaum reagieren können. Oscar Hammerstein war der härteste Konkurrent Harts. Statt wütend zu werden oder an Rodgers´ Anstand zu appellieren, sagte Lorenz Hart einen Moment lang gar nichts.
Dann antwortete er mit leiser Stimme: “Natürlich. Du solltest mit Hammerstein arbeiten. Ich verstehe sowieso nicht, wie du es so viele Jahre ausgehalten hast mit mir.”

Samstag, 21. Februar 2009

Wahrheit?


"Die Wahrheit in einem Theaterstück bleibt immer schwer greifbar. Man findet sie niemals völlig, sucht aber zwanghaft danach. Die Suche ist eindeutig der Antrieb unseres Bemühens. Die Suche ist unsere Aufgabe. Meistens stolpert man im Dunkeln über die Wahrheit, kollidiert damit oder erhascht nur einen flüchtigen Blick oder einen Umriss, der der Wahrheit zu entsprechen scheint, oftmals ohne zu merken, dass dies überhaupt geschehen ist. Die echte Wahrheit aber besteht darin, dass sich in der Dramatik niemals so etwas wie die eine Wahrheit finden lässt. Es existieren viele Wahrheiten. Die Wahrheiten widersprechen, reflektieren, ignorieren und verspotten sich, weichen voreinander zurück, sind füreinander blind. Manchmal spürt man, dass man die Wahrheit eines Moments in der Hand hält, dann gleitet sie einem durch die Finger und ist verschwunden."
Harold Pinter

Freitag, 20. Februar 2009

Heringslake


"Worte sind eingesalzene Heringe, konservierte alte Ware. Wer zu denken glaubt, der hat Hunger nach Mitteilung, und darum schmeckt ihm die eingesalzene alte Ware. Und wenn man mag, so darf man das Denken mit der Heringslake vergleichen, die das konservierte Zeug um so reicher umspült, je weniger Ware im Umfang und Begriff der großen Tonne noch vorhanden ist, die, an sich wertlos und kraftlos, sich für die Hauptsache hält - und in die Ladenschwengel und Köchinnen und andere denkende Menschen mit schmutzigen Fingern hineinpatschen, einen elenden Hering zu gattern, und sich nachher die Lake von den Fingern lecken, um andachtsvoll mit Ladenernst und Küchenschwung zu sagen: Das schmeckt salzig, das ist das Denken. Und die sprechenden Menschen sind das Salz der Erde."
Fritz Mauthner

Donnerstag, 19. Februar 2009

Wagners Glück


Der Spiegel wollte von Nikolaus Harnoncourt wissen, wie es passieren konnte, dass Mendelssohn trotz überragender Fähigkeiten lange nicht den ihm gebührenden Platz in der Musikgeschichte erhielt. Worauf der große Dirigent und Musikwissenschaftler die folgende, wegen ihrer Unverblümtheit höchst bemerkenswerte Antwort gab: "Gescheiten Leuten nimmt man übel, dass sie gescheit sind. Aber für seine Beurteilung war natürlich dieses unverschämte antisemitische Pamphlet von Richard Wagner Das Judentum in der Musik entscheidend. Das ist auf dem Gebiet der Verleumdung unter Kollegen wahrscheinlich das Schmutzigste, was es gibt. Wagner, Mendelssohn und Schumann sind fast gleichaltrig gewesen. Die beiden Letzteren haben dem Wagner halt den Gefallen getan, früh zu sterben. Da muss er jedesmal Freudenfeste gefeiert haben. Mit einem lebenden Mendessohn und einem lebenden Schumann wäre Wagners Erfolg so nicht möglich gewesen."

Mittwoch, 18. Februar 2009

Handyhedy


Nicht wenige nannten sie "die schönste Frau der Welt", seit man sie 1933 in einem tschechischen Film nackt schwimmen sah. Doch Hedy Lamarr legte keinen Wert auf dieses Kompliment. "Schön ist einfach," sagte sie. "Man muss bloß posieren und dumm dreinschauen." Sie heiratete in den 30er Jahren, kaum 20 Jahre alt, einen österreichischen Munitionsfabrikanten. Die Ehe war unglücklich. Sie entfloh ihr durch ein Fenster im ersten Stock der Fabrikantenvilla, nachdem sie das bewachende Dienstmädchen mit einen Schlaftrunk außer Gefecht gesetzt hatte. Ihr Weg führte direkt nach Hollywood. Dort wurde sie in Filmen mit Spencer Tracy, Clark Gable und James Stuart zum Weltstar. Dazu gehörte mehr als Posieren und Dumm-Dreinschauen, doch in dieser Frau steckte noch mehr als schauspielerisches Talent. Als der Zweite Weltkrieg begann, dachte sie zunehmend über eine Frage nach, die seinerzeit ihren Munitionsfabrikanten beschäftigt hatte: Wie kann man Waffen zuverlässig per Funk zünden? An sich war die drahtlose Zündung möglich; das Problem bestand darin, dass Funksignale sehr leicht gestört und damit unwirksam werden. Nach einigem Nachdenken, womöglich in den Wartezeiten am Filmset, fand Hedy die Lösung: Man müsste die Frequenz beim Sender und Empfänger ständig, aber synchron, verändern. Ein derart oszillierendes Funksignal könnte nicht mehr geblockt werden. Gemeinsam mit dem Komponisten George Antheil entwickelte der intellektuell unterforderte Filmstar diese Grundidee zu einem funktionierendem System. Die beiden patentierten es unter der Bezeichnung "Frequenzspringen". Das Pentagon erkannte sofort die Brisanz der Erfindung. Damit würden sich Torpedos sicher steuern und Explosionen fernzünden lassen. Das Patent wurde als kriegswichtiges Staatsgeheimnis klassifiziert und die Veröffentlichung verboten. Im Krieg wurde die Erfindung allerdings nicht mehr eingesetzt. Erst heute beweist sie ihre ganze Bedeutung. Das "Frequenzspringen" ermöglicht das gleichzeitige und störungsfreie Funktionieren von vielen Handytelefonaten und Internetverbindungen im selben Frequenzbereich. Hedy Lamarr starb im Jahr 2000. Wegen der Klassifizierung des Patents hat sie nie von ihrer Erfindung profitiert. Wenn wir telefonieren, sollten wir ab und zu dankbar an ihren hübschen Kopf denken.

Dienstag, 17. Februar 2009

Falsches Denken


"Das größte Problem unserer modernen Gesellschaft ist, dass die Menschen sich selbst für zu billig halten", sagt der kluge Abraham Maslow (1908-170), einer der bedeutendsten Psychologen. Man möchte ergänzen: "Das größte Problem der Kreativen in dieser Gesellschaft ist, dass sie ihr Publikum für dümmer halten als sich selbst."

Montag, 16. Februar 2009

Glücksrezept


Die Frage nach dem Glück hat der immer noch vielfach unterschätzte Erich Kästner mit einer Geschichte beantwortet, die weitererzählt zu werden verdient. Auf der Suche nach einem wirklich glücklichen Menschen findet er einen alten Mann. Der weiß wohl, dass er eine Ausnahme ist. Sein Glück beruhe darauf, erklärt er, dass er noch einen Wunsch frei habe. Und dann erzählt er von einer merkwürdigen Begegnung. Als er noch ein junger Mann gewesen sei, habe sich auf einer Parkbank ein Weihnachtsmann neben ihn gesetzt und ihm verkündet, er hätte drei Wünsche frei. Natürlich hielt der Erzähler das für einen dummen Scherz, und da er schlecht drauf war, sagte er dem Weihnachtsmann, er möge sich zum Teufel scheren. Worauf der Alte augenblicklich verschwunden sei. Das mit den drei Wünschen war also wahr. Nun konnte der Erzähler den armen Weihnachtsmann doch nicht in der Hölle schmoren lassen. Er wünschte ihn sich also zurück, und - schwups - saß der Weißbart, leicht angesengt, wieder neben ihm. Zwei Wünsche waren vertan. Die beiden verabschiedeten sich. 
"Und?", fragt Kästner, "Seitdem sind Sie glücklich?"
"Den letzten Wunsch habe ich vierzig Jahre nicht angerührt. Manchmal war ich nahe dran. Aber nein, Wünsche sind nur gut, solange man sie noch vor sich hat."

Sonntag, 15. Februar 2009

Ausländerhass


Das Urteil im sogenannten Morsal-Prozess wird in die deutsche Rechtsgeschichte eingehen. Erstmals konstatierte ein deutsches Strafgericht, dass "Ehre" ein niederes Motiv sein kann. Um die Familienehre zu retten, hatte Abmed-Scharif O. angeblich seine 16-jährige Schwester Morsal auf einen dunklen Parkplatz gelockt und mit zahlreichen Messerstichen getötet. Gleichwohl erkannte das Gericht auf Mord und verhängte lebenslänglich. Zu recht. In Wahrheit handelt es sich nämlich um eine ausländerfeindliche Tat. Aus Sicht des Täters, versteht sich, aber die ist hier maßgeblich. Er wollte nicht, dass seine Schwester sich wie eine der verhassten deutschen Frauen benahm. Der Tat zugrunde liegt die Anmaßung des 24-Jährigen, die Lebensweise seiner Schwester beurteilen und sie zum Tod verurteilen zu dürfen. Nach Ansicht der Verteidigung hätte das Gericht ein psychiatrisches Gutachten berücksichtigen müssen, das dem Täter eine "narzistische Persönlichkeitsstörung" bescheinigt. Wenn dieser Ausdruck bedeutet, was er zu besagen scheint, gilt diese Diagnose für fast jeden Mörder; der Egoismus eines Mörders ist nun einmal leider größer als die Achtung vor dem Ermordeten. Das ist ja das Schlimme. Wem die Verurteilung zu "lebenslänglich" in diesem Fall zu hart erscheint, sollte bedenken, dass der Täter voraussichtlich nach zehn Jahren wieder auf freiem Fuß sein wird. Vielleicht auch früher. Die Verteidigung will nämlich in Revision gehn. Für Morsal gibt es keine Revision. Sie bleibt tot. Dass der Fall vor den BGH kommt, ist allerdings zu wünschen. Im Interesse der Rechtsgeschichte.


Samstag, 14. Februar 2009

Helene


Wahr ist: Die Welt ist schlecht, jeder denkt nur an sich selbst, niemand hilft dir, wenn du am Boden liegst. Wahr ist aber auch: Die Welt ist herrlich, und wenn du nicht mehr weiter weißt, gibt es viele wildfremde Menschen, die bereit sind zu helfen. In Hamburg richteten Eltern über eine Zeitung einen verzweifelten Appell an die Öffentlichkeit. Ihre drei Monate alte Tochter Helene hat Leukämie. Nur eine Knochenmarktransplantation kann ihr Leben retten. Um einen geeigneten Spender zu finden, müssen Blutproben untersucht werden. Gestern standen 6000 Menschen in eisiger Kälte stundenlang an, um sich Blut abnehmen zu lassen, bereit, Helene zu helfen.

Freitag, 13. Februar 2009

Generalprinzip


"In Sizilien sagte ich einmal einem General, der etwas zögerlich beim Angreifen war, dass ich vollkommenes Vertrauen in ihn hätte. Um das zu beweisen, reiste ich ab. Alleingelassen mit seinen Entscheidungen, handelte er wagemutiger als ich es selbst getan hätte. Man darf den Leuten nie vorschreiben, was genau sie tun sollen. Nur dann zeigen sie, was in ihnen steckt."
General George S. Patton

Donnerstag, 12. Februar 2009

Geburtstagsgedanken


Am 12. Februar 1809 kam in einer Blockhütte im Wilden Westen ein hässliches Kind zur Welt. Es wuchs auf zwischen Wald und Prärie, wurde ein großer und kräftiger junger Mann. Früh verlor er die Mutter. Der Vater mochte den schlacksigen Jungen nicht, weil er in jeder freien Minute Bücher las. Dabei hatte er kaum Schulunterricht gehabt. Doch er konnte lesen. Was er wusste, wusste er aus nächtlicher Lektüre am offenen Feuer. Tagsüber fällte er Bäume, hackte Holz, pflügte den harten Boden. Zur Jagd ging er nie. Er hatte eine unüberwindbare Scheu zu töten. Auch das nahm ihm der Vater übel. Niemals zeigte er Stolz auf seinen Sohn, auch nicht später, als er nach langem Selbststudium hinterm Tresen eines Krämerladens die Anwaltsprüfung bestand. Damit begann der soziale Aufstieg des Hinterwäldlers. Alle seine Charaktereigenschaften sprachen gegen eine Karriere - er war ehrlich, anständig, prinzipientreu und loyal. Doch er wurde Präsident in Amerikas schwerster Krise. Nicht irgendein Präsident. Der beste, den die USA je hatten. Abraham Lincoln. 

Mittwoch, 11. Februar 2009

Kaffeehauswunder


Ernst Josef Aufricht war ein junger Schauspieler, der mit dem Geld seines Vaters 1928 das Berliner Theater am Schiffbauerdamm erwarb. Es war ein heruntergekommenes altes Haus in der Nähe der Friedrichstraße. Nur ein Wunder konnte es wiederbeleben. Aufricht wollte es mit einer Uraufführung eröffnen. Verbindungen zu etablierten Verlagen hatte er keine, daher ging er ins Café Schlichter, in dem viele Autoren verkehrten.  Tatsächlich saß da in seiner speckigen Lederjacke, Zigarre im Mund, Bert Brecht. Aufricht nahm allen Mut zusammen, stellte sich vor und beschrieb sein Problem. Natürlich hatte Brecht kein fertiges Stück liegen, das auf seine Uraufführung wartete. Aber er erinnerte sich an ein Manuskript, das Elisabeth Hauptmann, die fleißigste  seiner tüchtigen Geliebten und Zuträgerinnen, für ihn angefertigt hatte. Es war eine Übersetzung von John Gay's "Beggar's Opera". In den nächsten Tagen überarbeitete Brecht das Stück, kürzte und änderte da und dort, baute ein paar Gedichte und Nachdichtungen von Villon ein, und fertig war das Libretto zum erfolgreichsten deutschen Musical des 20. Jahrhunderts: Die Dreigroschenoper. Vielleicht sollten Deutschlands Intendanten öfter ins Kaffehaus gehen.

Dienstag, 10. Februar 2009

Sündenbocksuche


Australien brennt. Täglich erreichen uns neue Schreckensmeldungen von Brandstürmen, die ganze Ortschaften auslöschen und über die Autokolonnen der fliehenden Bewohner fegen. Hauptursache ist eine vorausgegangene Dürreperiode und Hitzewelle mit Temperaturen von über 45 Grad. Unter solchen Umständen kann eine Glasscherbe zum Feuerherd werden. Doch man spricht von Brandstiftung. Kann man sich vorstellen, dass jemand absichtlich solche Katastrophen auslöst? Man kann es sich nicht nur vorstellen, man will - und vielleicht muss - es sich vorstellen. Der Mensch braucht einen Schuldigen, auf den er seine Wut lenken kann. Es ist dasselbe Bedürfnis, das hinter jedem plötzlichen Tod eines Prominenten eine Verschwörung entdecken will. Einen Brandstifter und Mörder kann man fassen, bestrafen, unschädlich machen. Das gibt uns die Illusion, immer noch irgendwann Herr der Ereignisse zu sein. Naturkatastrophen und Schicksalsschläge sind schwerer zu ertragen als Bosheit und Verbrechen.

Montag, 9. Februar 2009

Paradox


Die amerikanischen Psychologen Amos Tversky und Eldar Shafir fragten mehrere hundert Studenten (Preference, Belief, and Similiarity; MIT Press, 2003): Wofür entscheiden Sie sich, wenn Sie die Wahl haben 1) die Vorlesung eines berühmten Gastprofessors, den Sie bewundern, zu besuchen oder 2) sich in der Bibliothek auf's Examen vorzubereiten. 21 % der Studenten entschieden sich für die Examensvorbereitung. Einer entsprechenden Gruppe von Studenten wurden drei Wahlmöglichkeiten gegeben: 1) die Vorlesung des berühmten, verehrten Professors, 2) die Examensvorbereitung, 3) ein Kinobesuch anlässlich des Starts eines lang erwarteten Films. In diesem Fall entschieden sich 40% für's Studieren. Die Möglichkeit zwischen zwei Alternativen zur Examensvorbereitung zu wählen, erhöht die Neigung dazu, statt sie zu vermindern. Unlogisch, aber menschlich. 

Sonntag, 8. Februar 2009

Ein Librettistenleben


Heutzutage würde die Presse den Librettisten der Opern Die Hochzeit des Figaro und Don Giovanni Mozarts Texter nennen. Zu seiner Zeit war der Venezianer weit angesehener und berühmter als die Komponisten, denen er seine Libretti zur Vertonung gab. 1749 in eine italienisch-jüdische Familie geboren, wurde Lorenzo da Ponte ein katholischer Musterschüler, ein Priester, ein Dichter, ein Frauenheld, ein aufklärerischer Freigeist, ein Freund von Salieri und Casanova und ein Günstling von Österreichs Kaiser Josef II. Sein scharfer Verstand, seine Liebschaften und seine Erfolge machten ihm allerdings auch reichlich Feinde. Wie alle großen Geister war er ein Weltbürger. Er fühlte sich in allen Metropolen Europas zuhause. Als Zeitzeuge erlebte er die Epoche der Aufklärung, die Französische Revolution und Napoleons Aufstieg. Um Gläubigern und rachedurstigen Ehemännern zu entgehen, emigrierte er 1805 in die Vereinigten Staaten. Dort schlug er sich zunächst als Krämer, Buchhändler und Sprachlehrer durch. Doch ein großer Mann ist überall groß. Bald hatter er es wieder zu etwas Geld und einigem Ansehen gebracht. Obwohl er nie fließend Englisch sprechen lernte, wurde er Professor der Columbia-Unversität. Das Musiktheater ließ ihn nicht los. New York verdankt ihm das erste Opernhaus der Stadt. Es spricht für ihn, dass er es nicht mit einem eigenen Werk eröffnete, sondern mit dem Barbier von Sevilla. Gerne hätte er noch selbst etwas Neues auf die Bühne gebracht, doch ihm fehlte in New York der kongeniale musikalische Partner. Da Ponte starb 1838, hochbetagt und hochgeehrt. Wie Mozart wurde er in einem unbezeichneten Grab beerdigt. 

Samstag, 7. Februar 2009

Komponistenwertung


Sind E-Komponisten bessere Musiker als U-Komponisten? Wer die Antwort darauf parat hat, wird sicher auch wissen, ob Kardiologen bessere Ärzte sind als Neurologen, Scheidungsanwälte bessere Rechtsvertreter als Strafverteidiger, Hochspringer bessere Sportler als Sprinter. Andere würden sagen, es kommt nicht auf das was an, sondern auf das wie. Es gibt Genies und Versager unter diesen und jenen. Warum dann die pauschale Vermutung, E-Musiker seien besser? Weil sie die obere Gesellschaftsschicht unterhalten. Dieselben Leute, die beurteilen, ob etwas wertvoll ist oder nicht. In Wahrheit gedeihen im Biotop der Subventionen Knöterich, gemeiner Windhalm und Hundspetersilie weit besser als auf dem Acker des freien Marktes. 

Freitag, 6. Februar 2009

Zu spät!


"Wieder die alte Geschichte! Wenn man sein Haus fertig gebaut hat, merkt man, unversehens dabei etwas gelernt zu haben, das man schlechterdings hätte wissen müssen, bevor man zu bauen anfing. Das ewige leidige zu spät! Die Melancholie alles Fertigen."
Friedrich Nietzsche

Donnerstag, 5. Februar 2009

Schutzengelflug


Die Autobahnbrücke über den Main wird derzeit abgerissen. Auf den hohen Pfeilern stehen noch Reste der Betonfahrbahn. Dazwischen gähnt der Abgrund. Zur Zeit wird der Verkehr über eine Behelfsbrücke geleitet. In der Nacht vom Dienstag auf Mittwoch dieser Woche verpasste ein schwerbeladener 40 Tonnen-Laster die Umleitung, durchbrach die Warngitter und raste die gesperrte Autobahn zum Fluss hinunter.  Er flog über das abgerissene Ende der Betonpiste. Die muss wie die Rampe einer Flugschanze gewirkt haben. Jedenfalls trug die Wucht des Absprungs den Lkw über ein 8 m breites Nichts. Er stürzte nicht in die Tiefe, sondern landete auf dem Brückenrest des ersten Pfeilers. Beim Aufprall knickte die Vorderachse ein, der Brummi rutschte noch ein Stück auf dem schmalen Betonteil weiter und blieb kurz vor dem nächsten Abgrund stehen. Nur mit Leitern konnten die Hilfkräfte den Unfallort erreichen. Im Fahrerhaus saß der Fahrer. Er war unverletzt und rauchte die beste Zigarette seines Lebens.

Mittwoch, 4. Februar 2009

Kein Panne


Der Heilige Vater sieht sich verkannt. Er wollte doch nur vier "traditionalistische" Bischöfe wieder in den Schoß der Kirche aufnehmen. Für ihn ein ganz normaler Vorgang auf der Linie seiner Politik. So etwas wurde bisher kaum zur Kenntnis genommen.  Einer der vier wollte aber offenbar, dass man es zur Kenntnis nimmt.  Er hat den Heiligen Vater ausgetrickst. Zwischen seiner Rehabilitierung und deren Bekanntgabe gab er ein Interview, indem er die Existenz der Gaskammern in den Nazi-KZs leugnete. Vielleicht ist ihm Himmler im Traum erschienen, denn woher sonst will er mehr wissen als die gesamte Historikerzunft. Ich denke eher, es handelt sich um die gezielte Provokation eines Antisemiten. Klarzustellen gibt es da nichts. Wenn der Vatikan beteuert, der Papst verurteile dieses Interview, erledigt sich das Thema damit keineswegs. Denn bitte, es wäre ja noch schöner, wenn der Papst das dumme Geschwätz nicht verurteilen würde. Alles wäre für den Vatikan in Ordnung, wenn Mr. Williamson geschwiegen hätte.  Der nicht bloß unterschwellige Antisemitismus der sogenannten Traditionalisten wird nicht in Frage gestellt. Die Stärkung dieser Leute hat nicht mit der Wiederaufnahme der vier abtrünnigen Bischöfe begonnen. Die wurde schon von Johannes Paul II. massiv betrieben. Vor allem mit Hilfe seines Chefs der Glaubenskongregation Joseph Ratzinger, der massiv gegen die Befreiungstheologen vorging und die konservativen Kräfte am rechten Rand der Glaubensgemeinschaft systematisch förderte. Die Mehrheit der katholischen Kardinäle wollte eine Fortsetzung dieser Richtung. Deshalb wurde der niederbayrische Ratzinger ja zum Papst gewählt. Die Intention ist es, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Man muss Williamson dankbar sein, dass er das Interesse der Öffentlichkeit an dieser Entwicklung geweckt hat. Aber von einer Panne kann man wirklich nicht reden.

Dienstag, 3. Februar 2009

Grundlagenforschung


Nach dem Krieg wurden nicht alle KZ-Schergen zur Verantwortung gezogen. Einige machten Karriere. Etwa Friedrich Hoffmann und Walter Schreiber, die für die berüchtigten Menschenversuche verantwortlich waren. Sie fanden einen neuen Arbeitgeber, der an ihren Experimenten interessiert war, nämlich die Regierung der Vereinigten Staaten. Diese beauftragte die Nazi-Folterer, fortan Forschungen zur "Verhaltensmanipulation" zu betreiben. Mit anderen Worten: Sie sollten sich weiterhin der Erfindung wirksamer Foltermethoden widmen. Dies taten sie mit deutschen Eifer. Offiziell ging es darum, die kommunistischen Verhörpraktiken zu verstehen. Tatsächlich wurde auch sehr bald von der CIA gefoltert. Die Zerstörung des rechtsstaatlichen Verfahrens durch die Bush-Regierung in Guantanamo und anderswo hat eine lange Tradition. Dies gezeigt und bewiesen zu haben, ist das Verdienst der deutschen Ausnahme-Journalisten Egmont R. Koch (Die CIA-Lüge. Folter im Namen der Demokratie. Aufbau Verlag 2008).   

Montag, 2. Februar 2009

Erfolgsgeheimnis


"Nichts auf dieser Welt kann Ausdauer ersetzen. Talent jedenfalls nicht. Erfolglose Begabungen trifft man an jeder Ecke. Genie reicht auch nicht. Das verkannte Genie ist geradezu sprichwörtlich. Professionalität und Können genügen ebensowenig. Die Welt ist voll von qualifizierten Versagern. Nur Ausdauer und Entschiedenheit sind letztlich unbezwingbar."
Calvin Coolidge, 30. Präsident der USA

Sonntag, 1. Februar 2009

Künstlerpech


Künstler verdienen den Erfolg gar nicht. Denn sie sind nie wirklich zufrieden. Man klopft ihnen auf die Schulter, und sie drehen sich unwirsch um. Alles strahlt, und sie hadern mit sich. Sie sind Stabhochspringer, die sich die 6m-Marke in den Kopf gesetzt haben. Wenn sie 5,32m schaffen, applaudiert das Publikum, aber sie ziehen ein Gesicht. Wieder gepatzt! Zustimmung macht sie nicht sicher, Lob gleitet an ihnen ab, Gutes ist ihnen nie gut genug. Sind sie undankbar? Kokett? Arrogant? O nein. Sie halten sich für Versager. Selbstquälerisch suchen sie das Vollkommene, statt das Mögliche gebührend zu schätzen. Darin liegt ein gutes Maß Überheblichkeit. Die Anmaßung nämlich, das Vollkommene erreichen zu können. Und doch: Man sollte ihnen vergeben. "Ich habe Gott und die Menschheit beleidigt," schrieb Leonardo da Vinci in seinem letzten Lebensjahr, "denn meine Arbeit war nie gut genug." Wenn der Schöpfer der Mona Lisa sich schon schämte, dürfen die Ungenialen mit Fug und Recht zerknirscht sein über ihr Gestümper.