Mittwoch, 25. Februar 2009

Wertungen


Theologie, Philosophie und Jurisprudenz haben das ihre getan, um uns über Gut und Böse aufzuklären. Sie gründen auf göttlicher Offenbarung, Logik und einer in Jahrhunderten gewachsenen Rechtsordnung. Woran es fehlt, ist eine soziologische Analyse unseres Wertesystems. Woran liegt es, dass wir Ärzte mehr respektieren als Gymnasiallehrer? Weshalb werden offizielle Würdigungen mit Bach und Haydn eröffnet statt mit Rodgers oder McCartney? Warum gilt Goethe mehr als Heine, Mann mehr als Zweig, Wagner mehr als Offenbach? Gott, Logik und Gesetz wissen darauf keine Antworten. Vielleicht gibt es objektive Kriterien für solche Wertungen, aber man darf zweifeln, ob sie entscheidend sind. Wenn wir ehrlich sind, werten wir selbst nur in Ausnahmefällen selbst. Wir übernehmen die Ansichten, die uns als Mitglieder der Gesellschaftsschicht ausweisen, der wir zugehören wollen. Wertungen werden angezogen wie schickliche Kleidung und unterliegen wie diese dem Wandel der Mode. Man definiert sich durch das, was man gut heißt oder ablehnt. Dafür muss man ungeschriebene Katechismen kennen: ein linker Intellektueller darf nicht für Atomkraft sein, ein Konservativer darf sie nicht ablehnen. Akademiker finden Pilcher zum Kotzen, auch wenn sie heimlich das ZDF anschalten; Bauarbeiter, die nicht RTL gucken, werden zu Außenseitern. Ganz normal? Vielleicht haben wir uns nur zu sehr daran gewöhnt, um dieses System der Wertungen zu hinterfragen.