Montag, 31. Mai 2010

Überlebenshilfen

"Es ist ein ewiges Phänomen: immer findet der gierige Wille ein Mittel, durch eine über die Dinge gebreitete Illusion seine Geschöpfe im Leben festzuhalten und zum Weiterleben zu zwingen. Diesen fesselt die sokratische Lust des Erkennens und der Wahn, durch dasselbe die ewige Wunde des Daseins heilen zu können, jenen umstrickt der vor seinen Augen wehende verführerische Schönheitsschleier der Kunst, jenen wiederum der metaphysische Trost, dass unter dem Wirbel der Erscheinungen das ewige Leben unzerstörbar weiterfliesst: um von den gemeineren und fast noch kräftigeren Illusionen, die der Wille in jedem Augenblick bereithält, zu schweigen. Jene drei Illusionsstufen sind überhaupt nur für die edler ausgestatteten Naturen, von denen die Last und Schwere des Daseins überhaupt mit tieferer Unlust empfunden wird und die durch ausgesuchte Reizmittel über diese Unlust hinwegzutäuschen sind. Aus diesen Reizmitteln besteht alles, was wir Cultur nennen: je nach der Proportion der Mischungen haben wir eine vorzugsweise sokratische oder künstlerische oder tragische Cultur."
Friedrich Nietzsche


Samstag, 17. April 2010

Vom Kulturwert des Verstehens


"Gegen den großen Irrthum, als ob unsere Zeit (Europa) den höchsten Typus M(ensch) darstelle. Vielmehr: die Renaissance-M(enschen) waren höher, u(nd) die Griechen ebenfalls; ja vielleicht stehen wir ziemlich tief; das "Verstehen" ist kein Zeichen höchster Kraft, sondern einer tüchtigen Ermüdung; die Moralisierung selbst ist eine Decadence".
Friedrich Nietzsche (Notizbucheintrag 1888)

Mittwoch, 14. April 2010

Konsequent



"Mit der deutschen Sprache verbindet mich eine lange Liebe, eine heimliche Vertrautheit, eine tiefe Ehrfurcht! Grund genug, um fast keine Bücher mehr zu lesen, die in dieser Sprache gelesen werden."
Friedrich Nietzsche

Sonntag, 28. März 2010

Dumm


In einer Kritik der Berliner Zeitung über ein Konzert der Popsängerin Peaches lese ich: "Eigentlich wünscht manch einer dem Musicalkönig Andrew Lloyd Webber biblische Plagen an den Hals, sind doch seine Songs aus Cats und Co. musikalischer Süßstoff für Kultur-Diabetiker, das ohrwurmige Pendant zu Degeto-Filmen und Fertignahrung." Scherzhafte Formulierung? Vielleicht. Verräterisch allemal. Was sich in diesem Satz verbirgt, ist leider eine sehr deutsche Haltung. Über Unterhaltung darf man sich hierzulande ungestraft ohne jede Begründung bösartig äußern, denn die ist der allgemeinen Verachtung preisgegeben, selbst von denen, die sie konsumieren. Man wird immer die Lacher auf seiner Seite haben. Auf Andrew Lloyd Webber einzudreschen, ist keine Kulturkritik. Mut gehört nicht dazu. Nur eine Portion Dummheit. Denn die braucht man, um als Zeitungsschreiber die Arbeit eines Komponisten, der uns mehrere Welthits geschenkt hat, gering zu schätzen.

Freitag, 26. März 2010

Lebende Tote


Sten Gagnér zitiert in seinem Nachruf auf Bernhard Rehfeldt den schwedischen Schriftsteller Erik Gustaf Geijer. Die Sternschrift der Vergangenheit bestünde aus den Gedanken der Toten; Gedanken, die aufzuklären, zu rühren, zum Erstaunen zu bringen und zu bezaubern vermögen, als wäre in ihnen lebendiger Geist. Und ebenso, wie sich in den Gedanken der Toten dieser Geist vernehmen, fühlen, verstehen lasse, wirke ein Mensch schon zu Lebzeiten am wesentlichsten unbewusst durch das, was er sei, durch die Summe, das Fazit seiner Handlungen. Nach seinem Tod sei der Gesamteindruck eines Menschen am klarsten zu gewinnen. "Es gibt keine in aller Stille gesegnete Erinnerung, die nicht segnend wirkt. Eine solche Wirkung aber ist überall die des Lebens, nicht die des Todes. So leben auch die Toten. Und wer viel mit den Gedanken der Toten umgegangen ist, der kann am wenigsten daran zweifeln."