Sonntag, 31. Mai 2009

Verhängnisvoll


Alle Wahlforscher sind sich darüber einig, dass die bevorstehende Bundestagswahl "in den neuen Bundesländern" entschieden wird. Alle Parteien (bis auf die FDP, die offenbar die Hoffnung auf Ost-Stimmen aufgegeben hat) buhlen daher vor allem um die Stimmen der Wähler zwischen Schwerin und Halle. Ironischerweise blickt man dabei auf die vielgeschmähte"Linke". Dass sie die stärkste Kraft im Osten ist, macht sie in dieser Wahl zum Vorbild, an der man sich orientiert. Vor allem gilt es, soziale Kompetenz zu zeigen. Nun ist es durchaus ehrenwert und notwendig, sich für Rentner, Arbeitslose und Hartz IV-Empfänger einzusetzen. Fragwürdig ist aber das Motiv. Mit Geld, das unsere Kinder erst noch verdienen müssen, sollen Unzufriedenheiten erstickt und Wahlstimmen gekauft werden. Doch nichts auf der Welt ist umsonst. Wer Geld ausgibt, das er nicht hat, gerät in ein finanzielles Desaster. Die traurige Pointe: Genau die werden am Schluss wieder die Zeche zahlen müssen, die heute beschenkt werden. Inzwischen haben auch keineswegs unterprivilegierte Interessengruppen - Bauernverband, Gewerkschaften, Ärzte, marode Konzerne - die Gunst der Stunde erkannt und nutzen sie. Jeder will etwas abhaben. Der Staat als Selbstbedienungsladen. Im Rückblick wird man es als ein Verhängnis sehen, dass Deutschland die Wirtschaftskrise in einem Wahljahr traf.

Samstag, 30. Mai 2009

Frage


"Ist es nicht sonderbar, dass die Menschen so gern für die Religion fechten und so ungern nach ihren Vorschriften leben?"
Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799)

Freitag, 29. Mai 2009

Nachilfe


Die Haizhu-Brücke in der südchinesischen Stadt Guangzhou war seit vielen Stunden gesperrt. Hunderte von Autofahrern standen im Stau. Auch Fußgänger ließ die Polizei nicht über die Brücke. Grund war ein Selbstmordkandidat, der auf dem mittleren Geländerpfeiler stand und sich in die Tiefe zu stürzen drohte. Nach drei Stunden Wartezeit hatte Lian Jiansheng die Nase voll. Er wollte heim, dazu musste er über die Brücke. Er bot der Polizei an, mit dem Mann auf dem Geländer zu sprechen. Doch man ließ ihn nicht durch. Nach vier Stunden riss Lian der Geduldsfaden. Brüsk schob er den Polizisten vor ihm beiseite, stürzte auf den Lebensmüden zu, reichte ihm die Hand und - schubste ihn in die Tiefe. Der Sturz verlief glimpflich, denn längst war unter der Brücke ein Sprungtuch aufgespannt. Lian Jiansheng wurde festgenommen. "Das war das zwölfte Selbstmord-Theater in diesem Monat," rechtfertigte er sich. "Diese Lebensmüden wollen doch nur Aufmerksamkeit, und unsereins kommt nicht weiter. Irgendwann reicht es. Entweder springen oder nicht. Aber vier Stunden auf dem Geländer stehen und ein paar tausend Leute warten lassen? Nicht mit mir."

Donnerstag, 28. Mai 2009

Ideenjongleur


Er will die Idee der Gedankenfreiheit retten, indem er das Sein mit einem Videospiel vergleicht. Die Details unserer Wirklichkeit seien nur grob gepixelt, der Mensch=Spieler könne sie daher nach Wunsch gestalten. Doch Slavoj Žižek ist alles andere als ein Vereinfacher philosophischer Probleme. Vielmehr gilt der Slovene als einer der innovativsten Denker der Gegenwart. Seine Kenntnisse sind stupend. Die von ihm gezogenen Querverbindungen sind verblüffend, doch immer nachdenkenswert. Freuds Unterbewusstsein etwa sieht er als eine späte Ausprägung des deutschen, insbesondere des schellingschen, Idealismus. Immer lässt der Philosoph und Psychoanalytiker Slavoj Žižek sich in seinem grenzüberschreitenden Denken von Psychoanalyse, Kinoerlebnissen, Popkultur und Science Fiction inspirieren. Ein erfrischend eklektischer Denker, der die abendländische Tradition gegen den Strich bürstet.

Mittwoch, 27. Mai 2009

Falsches Denken


Eine der verhängnisvollsten "Fehlprogram-mierungen", die wir alle in jungen Jahren erfahren haben, ist das Konkurrenzdenken. Wir sind darauf abgerichtet, uns zu vergleichen und an anderen zu messen. Erfolgreich sein bedeutet, über einen oder viele andere zu triumphieren. Der Kuchen hat eine bestimmte Größe, und wer das größte Stück erwischt, nimmt den anderen etwas weg. Dieses Denken führt zu Neid, Geiz und rücksichslosem Egoismus. Es beruht es auf der Vorstellung, dass es nicht genug für alle gibt. Vielleicht hatte diese Annahme ihre Berechtigung in Zeiten des Hungers und der Monokultur. Heutzutage ist sie überholt. In unserer Welt herrscht ein Überfluss an Möglichkeiten. Menschen mit Fantasie, Energie und Können verlieren nicht dadurch, dass andere Erfolg haben. Im Gegenteil. Der Erfolg der anderen ist der Beweis, dass Erfolg möglich ist. Wir sollten uns von Herzen darüber freuen und Zuversicht für unsere eigenen Pläne daraus schöpfen. Daran hindert uns allein eine dumme, engstirnige Sicht der Welt, die von Generation zu Generation weitergegeben wird.

Dienstag, 26. Mai 2009

Fachurteil


"Es gibt keine höhere Gesinnung in Amerika. Dieses Kommerzdenken, das die Geburt und den Aufstieg der Vereingten Staaten beherrscht hat, hat ihre Bewohner an die Kette gelegt – und ihr ganzes Tun und Trachten ist nur darauf ausgerichtet, dass die Kette ein goldene wird."
Alexander Hamilton, Gründervater der USA (1755-1804)

Montag, 25. Mai 2009

Revision


Der Polizist Kurras, der Benno Ohnesorg erschossen hat, war also ein Stasi-Agent. Für einige Kommentatoren Grund zu spekulieren. Was, wenn man das schon 1967 gewusst hätte? Wäre es dann auch zur 68er Bewegung gekommen? Hätte sich der Zorn der Studenten gegen die DDR statt gegen die Bonner Republik gerichtet? Die solche Fragen stellen, verkennen Ursache und Anlass der damaligen Revolte. Ursache war das Erwachsenwerden der ersten Nachkriegsgeneration, die ein Deutschland ohne Altnazis wollte; Anlass war die Solidarisierung der Bildzeitung mit dem Schah von Persien, dessen Regime in vieler Beziehung genau das repräsentierte, was es zu überwinden galt. Ohnesorgs Tod sorgte für Empörung, noch mehr der Freispruch des Todesschützen. Aber der Protest wäre auch ohne diese Ereignisse weitergegangen. Nur eines hätte die Stasi- und SED-Mitgliedschaft von Kurras geändert: Er hätte nicht auf die Solidarität seiner Kollegen rechnen können und wäre vermutlich wegen Mordes verurteilt worden.

Sonntag, 24. Mai 2009

Bluestext


Die Liebe seines Lebens hieß Willi und war eine bildhübsche Blondine. Als er sie traf, hatte er seinen Traum einer Karriere als weißer Blues-Sänger längst aufgegeben. Seinen Künstlernamen verwendete er aber weiter, nannte sich immer noch Doc Pomus. Unter diesem Namen war Jerome Felder Liedertexter geworden. Seine Songs sangen Ray Charles, Bobby Darin und Fabian, doch ein echter Hit war ihm nicht gelungen. Das änderte sich mit Willi. Für sie schrieb er seinen ersten Welterfolg: Das Lied eines Mannes, der seiner Freundin jeden Spaß gönnt, aber sie bittet, am Ende des Abends mit ihm nachhause zu gehen: Save The Last Dance For Me. Das war der Durchbruch. Danach schrieb Doc Pomus Hit auf Hit, für die Drifters, B. B. King, Andy Williams und Elvis Presley. Willi wusste, dass Doc Pomus Save The Last Dance For Me für sie geschrieben hatte. Obwohl sie den letzten Tanz nicht wirklich mit ihm tanzen konnte, verstand sie besser als alle den bitteren Hintergrund des Textes. Doc Pomus war von Kindheit an gelähmt und saß im Rollstuhl.

Samstag, 23. Mai 2009

Verfolgt


Der deutschen Hauspostille für Oberstudienräte, Studienstiftler-Alumnis und Arztwitwen fällt auf, dass "der Intellektuelle" neuerdings "mit Hass verfolgt" wird. Ein Artikel auf der ersten Seite des Zeit-Feuilletons vom 20. Mai führt bittere Klage über die "antiintellektuelle Hetze im Internet". In Blogs und Foren äußerten politisierende Kneipiers, dichtende Verwaltungsangestellte und unbedarfte Programmierer ihre laienhaften Ansichten und verspotteten die Feuilletonisten. Ihr Motiv sei der Neid auf die Klugheit der Gebildeten. "Was zu kompliziert erscheint, wird verhöhnt." Dabei sei doch allein der Intellektuelle dazu berufen, die Kultur zu wahren. Die gehe durch die Demokratisierung der Medien vor die Hunde. Als Kronzeuge wird Heiner Müller zitiert: "Zehn Deutsche sind dümmer als fünf Deutsche." Nun ja, in Müllers DDR waren die Intellektuellen vor zuviel Meinungsfreiheit geschützt. Und in der Zeit, als man Gedrucktem nur in Leserbriefen widersprechen konnte, war es auch im Westen bequemer, von der Kanzel herab dem dummen Volk zu predigen. Müssen wir jetzt Mitleid mit "den Intellektuellen" haben?

Freitag, 22. Mai 2009

Vorsprung


Vor zwanzig Jahren begann der kanadische Psychologe Roger Barnsley zu untersuchen, wie Eliten entstehen. Dazu analysierte er die Listen der besten Eishockeyspieler. Begabte werden in Kanada bereits im Einschulungsalter in Fördergruppen genommen, aus denen dann wieder alljährlich die Besten für intensiveres Training ausgewählt werden. Am Ende der Hierarchie stehen die Topvereine der Oberliga. Barnsley fiel eine Merkwürdigkeit auf. Die Geburtsdaten von 40 % der Spitzenspieler lagen zwischen Januar und März, 30 % waren zwischen April und Juni geboren, 20 % zwischen Juli und September und nur 10% in restlichen Monaten des Jahres. Das war kein Zufall. Nicht nur die Spielerlisten anderer Hochleistungssportarten, auch die Spitzengruppen von ähnlichen Förderhierarchien, darunter Schulen und Universäten, zeigten ein ganz ähnliches Muster. Sind im Frühjahr gezeugte Kinder erfolgreicher? Spielt das Sternzeichen eine Rolle? Die Erklärung ist viel simpler. Kinder von 5-7 Jahren entwickeln sich in einem Jahr relativ schnell. Ein anfangs des Jahres geborenes Kind hat daher gegenüber einem, das erst am Jahresende Geburtstag hat, einen Entwicklungsvorsprung. Es ist reifer, schneller, klüger. Wenn es nun dadurch in die Förderhierarchie kommt, potenziert sich sein zunächst nur kleiner Vorsprung durch das Training und die Anerkennung. Aus Barnsleys Untersuchung ergeben sich viele Konsequenzen. Eine davon ist, dass man Kinder im Alter von 9 bis 10 Jahren nicht jahrgangsweise für den Übertritt ins Gymnasium auswählen sollte. Unser Schulsystem muss sich ändern.

Donnerstag, 21. Mai 2009

Musikantenstolz


Als Richard Strauß fünfzig wurde, marschierte morgens eine Wiener Blaskapelle vor seinem Haus auf und brachte ihm ein blecherndes Ständchen. Die Musikanten spielten den Walzer aus der Strauß/Hofmannsthal-Oper Der Rosenkavalier. Nach dem Schlussakkord kam der Komponist aus dem Haus, bedankte sich bei den Musikern und lobte großmütig: "Das haben Sie aber wirklich sehr schön gespielt." Darauf der Kapellmeister: "Ja, wissen'S, Herr Strauß. Schreiben kann's ja a jeder, aber spiel'n, dös is a Sauarbeit."

Mittwoch, 20. Mai 2009

Traumverdiener



"Ideen hat jeder, daran herrscht kein Mangel. Sie sind nichts wert. Es kommt darauf an, etwas daraus zu machen. Nur wer seine Träume verwirklicht, hat sie verdient."
Walt Disney

Dienstag, 19. Mai 2009

Paradox


Gestern hat der Paritätische Gesamtverband den "Deutschen Armutsatlas" veröffentlicht. Die höchste Armutsquote (23,3 %) hat Mecklenburg-Vorpommern. Dort herrscht hohe Arbeitslosigkeit. Ebenfalls gestern meldeten die Erdbeerbauern von Mecklenburg-Vorpommern den Beginn der Ernte. Insgesamt 1300 Pflücker sind beschäftigt. Die meisten davon Polen, aber auch Angehörige anderer ehemaliger Ostblockländer. Zwar habe man vorrangig die Stellen den Einheimischen angeboten, aber nicht ein einziger Deutscher habe sich bereit gefunden, die Arbeit zu übernehmen.

Montag, 18. Mai 2009

Well done, Andrew!


Was Lord Andrew Lloyd Webber dazu bewogen hat, sich am Grand Prix d'Eurovision zu beteiligen, wird sein Geheimnis bleiben. In den letzten zehn Jahren ist die Veranstaltung zu einer bombastischen Freakshow geworden. Womöglich reizte ALW die Möglichkeit, mit seiner EnglandsuchtdenSongContestSuperstar-Interpretensuche (Your Country Needs You) TV-Quote zu machen wie vordem mit seiner Suche nach Musicaldarstellern. Gemessen an Deutschlands neuerlicher Blamage ist der von der Neuentdeckung Jade Ewen erreichte 5. Platz ein Erfolg für England. Aber für den König des Musicals und Autor zahlreicher Welthits ist diese Platzierung eine Niederlage. Er wollte selbstverständlich gewinnen. Immerhin hat er zweierlei erreicht: Jade Ewen wird ein Star werden, und der Zuschauer des Grand Prix hat endlich einmal wieder eine richtig durchkomponierte Melodie gehört.

Sonntag, 17. Mai 2009

Alex


Wer Tiere mag, sollte von Alex wissen. Der im September 2007 verschiedene Papagei wurde berühmt durch die Forschungen der Professorin Dr. Irene M. Pepperberg, die mit dem Tier regelrecht Gespräche führte. Dessen walnussgroßes Hirn war in der Lage zu zählen und zu addieren, Farben und Formen zu unterscheiden, Ordnungsbegriffe wie größer und kleiner, mehr, weniger und nichts zu verstehen. Alex erbrachte erstmals den wissenschaftlichen Beweis, dass der Abstand zwischen Tier und Mensch nicht gar so himmelweit ist, wie Religion und Menschenhochmut seit Jahrtausenden behaupten. Ihm verdanken wir den Nachweis, dass wir in einer Welt voll denkender, fühlender, bewusster Lebewesen leben. Die letzten Worte, die der sterbende Alex zu Irene Pepperberg sagte, waren "You be good. I love you." In zwei Büchern setzte sie ihrem tierischen "Kollegen" ein Denkmal: The Alex Studies (2000) und Alex & Me (2008). Faszinierende Lektüre.

Samstag, 16. Mai 2009

Haltung


Nur wenige Schauspieler begrüßten 1933 die Machtergreifung der Nazis. Viele wurden von der Bühne verbannt, andere flohen ins Ausland, eine große Zahl endete im KZ. Die meisten versuchten sich nach Möglichkeit zu arrangieren, gaben sich "unpolitisch". Den Namenlosen und Provinzgrößen mochte es gelingen, "neutral" zu bleiben. Wer aber berühmt war wie Heinrich George, Marianne Hoppe oder Heinz Rühmann wurde sehr bald dazu gezwungen, Fahne zu bekennen. Es gab aber welche, die sich nicht zwingen lassen wollten. Zum Beispiel Brigitte Helm. Filme wie Metropolis hatten sie zum Weltstar gemacht. Als die Nazis 1935 die Ufa von allen jüdischen Regisseuren und Schauspielern "säuberte", erklärte Brigitte Helm sich mit den Geschassten solidarisch. Sie kündigte ihre Verträge und machte nie wieder einen Film. Es steht uns nicht an, die Mitläufer und Kompromissler von der heutigen Warte aus pauschal zu verurteilen. Aber wir dürfen Haltung auch heute noch bewundern.

Freitag, 15. Mai 2009

Bissmysterium


"Die Umstände, die in einer Großstadt dazu führen, dass ein Hund einen Menschen so heftig beißt, dass der Vorfall der Polizei gemeldet wird, sind kompliziert, extrem unterschiedlich und kaum vorhersehbar. Die Statistik von New York weist aber jedes Jahr bis auf nur fünf Prozent Abweichung dieselbe Zahl von Fällen auf. Wie wissen die New Yorker Hunde, wann ihr Jahrespensum an Bissen erfüllt ist?"
Nach Arthur Koestler, Die Wurzeln des Zufalls (1972)

Donnerstag, 14. Mai 2009

Kunstförderer


Das Weiße Haus hat gestern Rocco Landesman zum neuen Vorsitzenden der Nationalen Kunstförderung ("National Endowment Of The Arts") ernannt. Landesman ist ein Broadwayproducer, der unter anderem "Angels in America" und "The Producers" auf die Bühne gebracht hat und fünf kommerzielle Theater führt. In Deutschland würde die Besetzung eines solchen Postens mit einem "kommerziellen" Theatermann ein einhelliges Empörungsgeschrei in Theaterkreisen und Medien auslösen. Hier könnte man nur einen Musikprofessor, Opernintendanten oder abgehalfterten Politiker zum Herrn über Subventionen machen. In den USA jedoch ist die Kulturszene begeistert von dieser Entscheidung Barack Obamas. Peter Gelb, der Generalintendant der Metropolitan Opera, freut sich in der New York Times darüber, dass das Verhältnis zwischen Politik und Kunst durch einen Mann wie Landesman vitaler werden wird. Man findet es gut, wenn in Washington jemand für die Kunst kämpft, der mit Geld umzugehen weiß. Wäre es nicht schön, wenn der ständig vor der Pleite stehende Deutsche Musikrat auch einen Landesman hätte?

Mittwoch, 13. Mai 2009

Weissagung


"Euch Sterblichen von morgen prophezeie ich heut und hier: Bevor noch das nächste Jahrtausend beginnt, ist der einzige Gott, dem jeder dient, die unstillbare Gier."
Graf von Krolock (1128-∞)

Dienstag, 12. Mai 2009

Medienbrille


Das Verhältnis von öffentlicher Aufmerksamkeit und Publikumsakzeptanz ist nicht immer proportional. „Hilde“, der biografische Film über Hildegard Knef hatte eine bundesweite Medienresonanz, aber nur 325 000 Besucher. „John Rabe“, der hochgelobte und vielbesprochene Film über den "anderen Schindler" erreichte keine 100 000 Kinogänger. Die "Buddenbrocks", von der Presse verrissen, brachte es immerhin auf 2 Millionen Besucher. Musical wird in den Medien vergleichsweise stiefmütterlich behandelt. Aber: "Elisabeth" sahen bisher 9 Millionen, "Tanz der Vampire" 6 Millionen Menschen.

Montag, 11. Mai 2009

Servus, Monti!


Der plötzliche Tod des früheren Ariola/BMG-Chefs Monti Lüftner macht sprachlos. Auch deshalb, weil zwei beliebte Floskeln nicht passen wollen. Sein Tod ist, allen Nachrufen zum Trotz nicht "tragisch", und er hinterlässt leider auch keine "Lücke", nicht in dem Beruf, der lange sein Leben war. Die Tonträgerindustrie hat sich nämlich schon vor fast zwei Jahrzehnten von Persönlichkeiten wie ihm verabschiedet. Heutzutage haben CEOs oder "Business Executives" das Sagen. Kreativität und Künstlerbetreuung wurden ersetzt durch Quartalsbilanzen und Kosteneffektivität. Das ist der eigentlich Grund für den Niedergang der Musikbranche, auch wenn diese das Internet für ihren Niedergang verantwortlich macht: Wohin das geführt hat, weiß man. Der ist "tragisch", aber nicht Monti's Ende. Wer ihn kannte, weiß, dass er sich so einen Tod gewünscht hat. Er wollte nicht langsam verwelken, sondern "mitten im Leben" und ohne Vorwarnung seinen Abschied nehmen. "Glück muaßt halt ham, waßt." Gell, Monti? Servus.

Sonntag, 10. Mai 2009

Vorbild



Die gelungenste Übertragung eines anglo-amerikanischen Musicals ist mit weitem Abstand die deutschsprachige Fassung von My Fair Lady. Auch nach 50 Jahren sind die Texte noch auf der Höhe der Zeit. Wirklich Gutes wird nicht alt. Verantwortlich für diese Meisterleistung ist Robert Gilbert. Gilbert hieß eigentlich Winterfeld. Vor dem Krieg hatte er Schlagertexte wie Ein Freund, ein guter Freund und Das gibt's nur einmal geschrieben. Als Jude musste er vor den Nazis in die USA flüchten. Zum Glück kam er nach Deutschland zurück und wirkte maßgeblich daran mit, dass das Musical in Deutschland populär wurde. Als Person starb er 1978, als Leitfigur aller Liedertexter und Librettisten lebt er weiter.

Samstag, 9. Mai 2009

Künstlergewissen


Als der französische Bildhauer Frédéric Auguste Bartholdi in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts die Freiheitsstatue gestaltete, gab es noch keine Flugzeuge. Es lag außerhalb des Vorstellungsvermögens der Zeit, dass man jemals die 102 Meter hohe Skulptur von oben betrachten würde. Trotzdem sind die von unten nicht sichtbaren Haare der Figur detailliert ausgestaltet. Man wies den Künstler darauf hin, dass er sich diese Mühe hätte sparen können. Niemand würde den Kopf je von oben sehen. Bartholdi widersprach. "Ich weiß, wie der Kopf von oben aussieht. Das genügt." Ein Künstler muss so lange an einem Werk arbeiten, bis er selbst damit zufrieden ist, auch wenn andere seine Verbesserungssucht für unsinnig halten.

Freitag, 8. Mai 2009

Hauptperson


Er war ein Schulversager, aber für eine Lehre war er nicht zu haben. Schon als Heranwachsender wollte er "Künstler" werden. Die Eltern hatten nicht das Geld, ihm diesen Wunsch zu erfüllen. Zum Glück lernte er ein Mädchen kennen, das eine Erbschaft gemacht hatte. Sie ersparte ihm den Einstieg in einen Brotberuf und finanzierte sein Bohemienleben in Rom. Zum Maler und Bildhauer fehlte ihm das nötige Talent, aber Selbstbewusstsein hatte er reichlich. Auch schriftstellerte er recht gut. Noch bevor er damit bekannt wurde, heiratete er seine Gönnerin. Mit dem Schreiben begann er genau dann Geld zu verdienen, als deren Erbschaft verbraucht war. Seine Frau bekam drei Kinder und er eine jüngere Freundin, zu der er zog. Zehn Jahre später ließ er sich scheiden. Kaum verheiratet mit der Freundin, verliebte er sich in eine andere. Von allen seinen Frauen forderte er Verständnis und lebenslange Treue. Denn schließlich war er Deutschlands größter Dramatiker und betrachtete sich als Goethes Nachfolger. Vielleicht muss man sich so wichtig nehmen, um groß zu werden. Oder muss man groß sein, um sich so wichtig nehmen zu können?

Donnerstag, 7. Mai 2009

Peitschenschwinger


Dirigenten müssen Dompteure sein. Denn prinzipiell besteht jedes Orchester aus renitenten Solisten. Jede und jeder hat zu Beginn der Ausbildung daran geglaubt, irgendwann ein Menuhin, eine Mutter oder ein Yoyo Ma zu werden. Keiner hat sich einen Job als dritter Geiger von links erträumt. So sieht sich der Dirigent dem frustrierten Ehrgeiz von 30 bis 60 Musikern gegenüber. Soviel geballte Unzufriedenheit in die Form einer Gruppenleistung zu zwingen, kostet Kraft und gelingt nur einem Menschen mit Autorität und Selbstbewusstsein. Er muss bereit sein, die Peitsche zu schwingen, symbolisiert durch den Taktstock. Die stets auf eine Schwäche lauernden Orchestermitglieder, dürfen an der Macht, dem Können und Wissen ihres Chefs keine Sekunde zweifeln, sonst ist er verloren. Große Dirigenten sind selten sympathisch. Bewundernswert aber immer. Denn sie bringen eine Bande unwilliger Raubtiere dazu, gemeinsam durch seinen Reifen zu springen.

Mittwoch, 6. Mai 2009

Altes Denken


Selbstverständlich muss Guantánamo aufgelöst werden. Soweit gegen die Häftlinge einwandfreie Beweise vorliegen, gehören sie vor ein ordentliches Gericht. Durch Folter erpresste Geständnisse und darauf beruhende Erkenntnisse dürfen nicht verwertet werden. Vermutlich bedeutet das, dass über 90 Prozent der seit über sieben Jahren Inhaftierten entlassen werden müssen. Viele von ihnen können nicht in ihre Heimatländer zurück, da sie dort neuer Verfolgung ausgesetzt würden. Für diese Menschen haben zunächst einmal die USA zu sorgen. Sie haben die Situation schließlich herbeigeführt. Washingten sollte angemessene Entschädigungen zahlen und den zu Unrecht nach Guantánamo verschleppten Ausländern dauerndes Aufenthaltsrecht in ihrem Land anbieten. Nur wenn die Rehabilitierten die US-Einbürgerung dankend ablehnen – es wäre immerhin begreiflich – muss man ihnen die Möglichkeit geben, ihren Aufenthalt anderswo zu finden. Der gegenwärtige Versuch, die Bush-Opfer ungefragt quotenmäßig in der Welt zu verteilen, entspringt einem seit Januar 2009 überwunden geglaubten Denken.

Dienstag, 5. Mai 2009

Schulgeld


Ein beträchtlicher Teil des Konjunkturpakets der Bundesregierung soll den Schulen und Universitäten zugute kommen. Hat die Regierung endlich erkannt, dass unsere Zukunft von einer Verbesserung des Bildungssystems abhängt? Sollen die Volksschullehrer besser bezahlt und damit gesellschaftlich aufgewertet werden? Werden die Klassen verkleinert? Die Problemkinder stärker gefördert? Mitnichten. Das Geld soll den Gebäuden zugute kommen, nicht den Lehrern und Schülern. In Wahrheit werden nicht Bildung und Pädagogik gefördert, sondern Handwerker und Bauunternehmer. Auf das Umdenken darf weiter gewartet werden.

Montag, 4. Mai 2009

Vorlage


Der wunderbare Daniel Kehlmann fährt mit seinem neuen Bestseller Ruhm im Kielwasser eines größeren und leider erfolgloseren Schriftstellers, nämlich Kurt Kusenberg. Aus gutem Grund hat Kehlmann seine neun Ruhm-Geschichten in Stil und Inhalt als eine Art Hommage an Kusenberg gestaltet. Leider hat das bisher kein Kritiker erwähnt, so dass nichts vom Glanz des jungen Autors auf sein Vorbild fällt. Schade, denn es gilt Kurt Kusenberg neu zu entdecken. Bessere Kurzgeschichten hat kein deutschsprachiger Autor je geschrieben. Es spricht für Daniel Kehlmann, das erkannt zu haben.

Sonntag, 3. Mai 2009

Tusch!


Heute wird Pete Seeger 90 Jahre alt. Nach dem zu früh verstorbenen Woody Guthrie ist Pete der einflussreichste Songwriter Amerikas. Hierzulande kennt man ihn kaum, selbst wenn sein "We Shall Overcome" zur Hymne der 68er geworden ist. Auch sein "Where Have All The Flowers Gone" und "If I Had A Hammer" sind unvergessen. Wichtiger als seine Hits ist jedoch sein Vorbild. Der Mann zeigte sein Leben lang Gesinnung. Er war sozial engagiert (was ihn in der McCarthy-Zeit zum Kommunisten machte), pazifistisch, unerschrocken. Persönlich bescheiden, grundehrlich, liebenswert. An Menschen wie ihm liegt es, dass man trotz Nixon und Bush die USA lieben kann.

Samstag, 2. Mai 2009

Menschlichkeit


"Weder Tier noch Engel, so nannte Pascal den Menschen. Aber das ist kein wahrer Gegensatz. Von den Engeln weiß ich wenig. Jedes Tier ist jedoch noch immer viel mehr Tier als irgend ein Mensch jetzt Mensch sein kann. Wenn man alles Gute vom Menschen abhobelt, bleibt kein Tier zurück, sondern ein Teufel. Wer den Menschen manipuliert, tötet die Menschlichkeit."
Erwin Chargaff

Freitag, 1. Mai 2009

Angeberschicksal


Von zwei Hähnen, welche um Hennen miteinander kämpften, behielt der eine die Oberhand über den andern. Der Überwundene zog sich zurück und verbarg sich im dunklen Stall; der Sieger aber flog auf den Misthaufen hinauf, stolzierte hin und her und krähte laut. Da schoss jählings ein Adler herab und trug den Angeber mit sich fort. Jetzt kam der Hahn, der sich versteckt hatte, aus dem Stall und wurde mit freudigem Gegacker von den Hennen begrüßt.