Donnerstag, 26. Februar 2009

Vincents Ohr


Selbst Kunstbanausen wissen seit über hundert Jahren, dass sich Vincent van Gogh ein Ohr abgeschnitten hat. Für die meisten ist das überhaupt alles, was sie über den holländischen Maler wissen. Die Geschichte stimmt aber gar nicht. Die Wissenschaftsautoren Rita Wildgans und Hans Kaufmann haben jetzt schlüssig bewiesen (Van Goghs Ohr, Berlin 2008), dass Paul Gauguin seinem Kollegen das Ohr mit einem Degen abgeschlagen hat. Der Hergang war wohl so: Die beiden Maler gerieten nach einer Sauftour in heftigen Streit. Auf der Straße vor einem Bordell zog Gauguin den Degen. Der Hieb hätte van Gogh töten können, doch weil er auswich, traf er nur das Ohr. Vincent hob es schreiend auf und drückte es einer Hure, die aus dem Freudenhaus gelaufen kam, in die Hand. Gauguin begab sich seelenruhig in sein Hotel, der blutüberströmte Vincent schleppte sich nachhause, wo er sich aufs Bett warf. Nun ja, beide waren offenbar sternhagelblau. Die Blutspur rief am nächsten Morgen die Polizei auf den Plan. Vincent verweigerte jede Erklärung. Man verhörte Gauguin, der die Version zum Besten gab, die seither zum festen Repertoire der Kunstgeschichte gehört und bis vor kurzem nie bezweifelt wurde: im Wahn habe sich van Gogh vor dem Spiegel das Ohr abgeschnitten und sei damit zu einm Bordell gelaufen, wo er es einer Hure übergeben hätte. Die Polizei fragte Vincent, ob das denn stimme. Er sagte nichts, wohl weil er den Freund nicht ins Gefängnis bringen wollte. Zu Gauguin bemerkte er beim Auseinandergehen: "Sie sind schweigsam, und ich werde es auch sein."