Donnerstag, 1. Januar 2009

Im Roggen gefangen


Zu früh Erfolg zu haben, ist kein Segen. In einem fulminanten Roman schrieb sich ein völlig unbekannter junger Mann die Frustration von der Seele, die sich in seiner Schul- und Studentenzeit aufgestaut hatte. Das Buch trug den merkwürdigen Titel "The Catcher in the Rye" (Der Fänger im Roggen), handelte aber weder von Catchern noch von Getreide. Vielmehr schilderte es das Ausflippen eines rebellischen Jugendlichen, der gegen Eltern, Lehrer und Konventionen aufbegehrt. Das Werk des bis dahin unbekannten Autoren wurde zum Sensationserfolg. Literarisch nahm es die Ikonografie von Marlon Brando und James Dean vorweg. Bis heute ist "The Catcher in the Rye" die Bibel vieler aufmüpfiger Teenager, nicht nur in Amerika. Jerome David Salinger, der Verfasser, wurde fast über Nacht zu einem der Großen der Literaturszene. Sein Pech. Er schrieb andere Bücher und Beiträge für renommierte Zeitschriften. Aber ein vergleichbarer Wurf konnte ihm nicht mehr gelingen. Auch Schriftsteller knacken den Jackpot nur einmal. Im Juni 1965, vierzehn Jahre nach Veröffentlichung des ersten Romans, gab Salinger auf. Nicht das Schreiben, nur das Hoffen. Da er es leid war, vergebens auf einen zweiten Erfolg zu warten, verzichtete er fortan auf die Publikation seiner Werke. Er behauptete, nur noch für sich selber schreiben zu wollen. Quatsch. Kein Autor schreibt nur für sich selbst. Schon gar nicht einer, der den Weltruhm geschmeckt hat. Vermutlich musste er sich selbst belügen, um nicht in Depressionen zu stürzen. Heute feiert J. D. Salinger seinen 90. Geburtstag. Wahrscheinlich. Ganz genau weiß man nämlich nicht, ob er noch lebt. Niemand kennt seinen Aufenthalt. Das aktuellste Foto von ihm ist über 40 Jahre alt.