Dienstag, 30. Juni 2009

Mitleid mit dem Mitmenschen


“Bei jedem Menschen, mit dem man in Berührung kommt, unternehme man nicht eine objektive Abschätzung desselben nach Werth und Würde, ziehe also nicht die Schlechtigkeit seines Willens, noch die Beschränktheit seines Verstandes und die Verkehrtheit seiner Begriffe in Betrachtung; da ersteres leicht Haß, letztere Verachtung gegen ihn erwecken könnte, sondern man fasse allein seine Leiden, seine Noth, seine Angst, seine Schmerzen ins Auge: da wird man sich stets mit ihm verwandt fühlen, mit ihm sympathisiren und statt Haß oder Verachtung jenes Mitleid mit ihm empfinden, welche allein die Liebe (agape) ist, zu der das Evangelium aufruft. Um keinen Haß, keine Verachtung gegen ihn aufkommen zu lassen, ist wahrlich nicht die Aufsuchung seiner angeblichen ´Würde`, sondern umgekehrt der Standpunkt des Mitleids der allein geeignete.”
Arthur Schopenhauer (1788-1860)