Samstag, 1. August 2009

Bootsfahrt



Die Wiener Schauspielerin Karoline Blamauer fand im Berlin der Zwanziger Jahre kein Engagement. Im außerhalb der Stadt gelegenen Haus des Dramatikers Georg Kaiser arbeitete sie vorübergehend als Haus- und Kindermädchen. Am Morgen des 1. August 1924 sollte sie einen Besucher vom Bahnhof abholen. Das Landhaus der Kaisers in Grünheide lag an einem See, und der Bahnhof war am anderen Ufer. Weil das Wetter schön war und das Wasser glatt wie ein Spiegel, ruderte sie mit dem Boot zum Bahnhof. Dort wartete ein kleiner Mann in einem blauen Anzug mit zu kurzen Hosenbeinen, eine Drahtbrille mit dicken Gläsern im rundlichen Gesicht. Sie stiegen ins Boot und kamen, während Fräulein Blamauer ruderte, ins Gespräch. Es stellte sich heraus, dass der Besucher, ein recht bekannter Komponist, sie von einem Vorsingen kannte. In der Mitte des Sees legte sie die Ruder ein, kniete sich im schaukelnden Kahn hin, nahm dem kleinen Mann den Hut ab und küsste ihn auf die Stirn. Das ermutigte den Komponisten zu einer leidenschaftlichen Umarmung, bei der ihm die Brille von der Nase rutschte und im See versank. Ernüchtert, war ihm seine Zudringlichkeit peinlich. Verlegen machte er Karoline Blamauer einen Heiratsantrag. Die junge Schauspielerin lachte und ergriff wieder die Ruder. Doch die beiden heirateten später tatsächlich und blieben ein bewegtes Leben lang unzertrennlich. Die Welt kannte sie als Lotte Lenya und Kurt Weill.