Sonntag, 14. Dezember 2008

Einfach Schreiben


Der deutsche Intellektuelle hält alles für dumm, was er versteht. Bedeutend scheint ihm nur das Kryptische. Aus diesem Grunde sind 90 % der akademischen Veröffentlichungen unlesbar; selbst Kollegen lesen wissenschaftliche Publikationen in der Regel nur aus Pflichtbewusstsein. Ähnliches geschieht in außerakademischen Fachzirkeln. Wer mehr zu wissen glaubt als andere, zeigt das in der Regel durch Verklausulierungen, Akronyme und Schachtelsätze. Jede deutsche Computerzeitschrift dient als Beleg. In den Hirnen unserer Landsleute ist die Demokratie noch nicht angekommen. Wissen ist Macht, und die behält man gerne. Jede Klasse der Wissenden schottet sich sprachlich ab. Wer diesen Kodex durchbricht, wird geächtet. Manch einer wurde schon durch den Vorwurf, "populär" zu schreiben, aus der Bahn geworfen. Eine Biografie ist lesbar? Dann ist sie natürlich unwissenschaftlich. Selbst wenn es um die schnöde Unterhaltung geht, will man unter sich bleiben. Das Einfache erhält stets das Etikett "banal", jede verständliche Aussage wird unbesehen zur Platitüde erklärt. Kein Wunder, dass das zu allerlei Eulenspiegeleien reizt. Doch die sind selten mehr als Hochstapeleien, bestenfalls Späße. Kunst ist immer einfach, Wissenschaft ist immer klar. Es ist kein Zufall, dass Ludwig Wittgenstein von England aus wirkte. Seine Einsicht, dass man alles, was sich sagen lässt, einfach und verständlich sagen kann, ist bis heute nicht in Deutschland angekommen.