Er kam aus einer der reichsten Familien Österreichs. Zum Ärger seines despotischen Vaters hatte er kein Interesse an den Geschäften des Vaters. Stattdessen wollte er Pianist werden. Im Großen Musikvereinssaal in Wien gab er kurz vor dem Ersten Weltkrieg ein gutbesuchtes Konzert. Einige Fachleute fanden sein Spiel großartig. Doch Publikum und Kritiker nahmen ihn nicht als Künstler wahr, sondern nur als Milliardärssohn mit einer Liebhaberei. Als der Krieg ausbrach, war er unter den ersten, die an die Front kamen. Leider auch einer der ersten, die ihm zum Opfer fielen. Schwerverletzt kam er ins Lazerett, wo ihm der rechte Arm amputiert werden musste. Unmittelbar nach der Operation stürmten die Russen das Krankenhaus und erklärten die Patienten zu Kriegsgefangen. Nach Monaten in stinkenden Güterwagen, auf engstem Raum zusammengepfercht mit verhungernden und apathischen Mitgefangenen, gequält von unerträglichen Schmerzen im eiternden Armstumpf fand er sich in einem berüchtigten sibirischen Gefängnis wieder. Dort kratzte er die Tastatur eines Klaviers in den Zellenboden und "übte" unaufhörlich, auswendig gelernte Klavierkompositionen mit einer Hand zu spielen. Wenige seiner Kameraden überlebten Sibirien. Typhus, Ruhr, Unterernährung, Prügel und Zwangsarbeit brachten sie um. Der "stumme Pianist" mit dem einen Arm überlebte die Torturen. Denn er hatte eine Vision. Sie wurde nach unbeschreiblichen Leiden wahr. Nach dem Krieg trat er wieder im Großen Musikvereinssaal auf und spielt Bach, Mendelssohn und Liszt. Mit einer Hand. Zwei seiner Brüder hatten sich umgebracht, einer war Philosoph geworden. Niemand hatte mehr erduldet als der einhändige Pianist. Er hieß Paul Wittgenstein.